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Nach Brandnacht in Marbach bleibt Motiv vor Gericht unklar

Justitia
Eine Statue der Justitia hält eine Waage in der Hand. Foto: picture alliance / David Ebener/dpa/Symbolbild
Gleich drei Mal muss die Marbacher Feuerwehr in jener Nacht ausrücken. Ein Wohnhaus, eine Kirche und ein Polizeirevier stehen komplett oder zumindest zum Teil in Flammen. Ein Einheimischer soll gezündelt haben. Vor Gericht ist Geduld gefordert, um ein Motiv zu erkennen.
Heilbronn.

Heilbronn (dpa/lsw) - Irgendwann muss ihm der Kragen geplatzt sein. In jener Nacht vielleicht oder schon einige Tage vor den Brandanschlägen, die die Marbacher Feuerwehr im vergangenen Oktober in Atem gehalten haben. Der 42-Jährige läuft zur Tankstelle, füllt 15 Liter Benzin ab und kippt einen großen Teil in seiner Wohnung aus. Mit zwei Litern bastelt er die Molotow-Cocktails, die er kurz nach dem Brand in seinem Haus im Oktober vergangenen Jahres gegen die Türen einer Kirche und eines Polizeireviers in Marbach (Kreis Ludwigsburg) werfen wird.

Aus dem Flammenmeer können alle Bewohner des Wohnhauses gerettet werden. Mehrere Nachbarn, zwei Passanten und zwei Polizisten erleiden Rauchvergiftungen. Seit Montag wird dem Deutschen unter anderem versuchter Mord vorgeworfen. Ein Motiv, ein Auslöser für die Tat bleibt nach dem Prozessauftakt aber unklar.

Er sei mit dem politischen System grundsätzlich unzufrieden gewesen, antwortet der arbeitslose Automechaniker in kurzen knappen Worten auf die Fragen von Richter Roland Kleinschroth, der geduldig gräbt auf der Suche nach einem Motiv. Steuern? «Sind Schutzgeld an das System», murmelt der Deutsche, der in Rumänien geboren wurde. Das Grundgesetz? «Ein Märchenbuch.» Die schlafenden Nachbarn, die er mitten in der Nacht dem Tod aussetzt? «Die haben Feuermelder. Ich nehme doch nicht bewusst den Tod anderer Menschen in Kauf.» Und die sogenannten Reichsbürger, die den deutschen Staat, sein Rechtssystem, Regierungen und die Polizei ablehnen? «Bin ich nicht bei. Finde es aber schlüssig, was die so sagen», sagt er. «Rechtsfeindschaft, ja Rechtsfeindschaft» könne ihn zur Tat getrieben haben.

Laut Staatsanwaltschaft könnte der Mann geglaubt haben, mit dem Feuer den Geist seiner toten Großmutter aus der gemeinsamen Wohnung zu vertreiben. Dieser habe ihn nach seiner eigenen Beschreibung gequält, sagte die Staatsanwältin. Im Dialog mit Richter Kleinschroth geht der Angeklagte, der im Gästezimmer der Wohnung seiner Verwandten wohnte, aber nicht näher darauf ein.

Ausreden, nichts als Ausreden seien das, entgegnet ihm der Richter irgendwann genervt. «Aber vor der Verantwortung können Sie nicht flüchten.» Die Aussagen des bärtigen Mannes in der weiten Frottee-Trainingshose auf der Anklagebank seien ihm «zu einfach und viel zu billig».

Auf einem YouTube-Video aus der Oktobernacht, das im Saal gezeigt wird, schlägt dichter Rauch aus den Fenstern des Hauses. Lodernde Flammen sind in den Zimmern zu erkennen, während die Feuerwehr versucht, Menschen mit der Drehleiter vom Dach zu retten. Der mutmaßliche Brandstifter hatte nach eigener Darstellung zunächst seine eigene Wohnung in Brand gesetzt und im Anschluss mit den Molotow-Cocktails versucht, die evangelische Kirche und das Polizeirevier anzünden. Es blieb aber bei Sachschaden an Türen und Mauerwerk.

In einem «psychischen Ausnahmezustand» habe sich der Mann damals befunden, hatte sich die Polizei nach den Bränden in einer ersten Erklärung versucht. Zwei Sachverständige sollen nun beurteilen, ob der Marbacher während der Taten uneingeschränkt schuldfähig war. Er selbst ist sich sicher: «Ich bin klipp und klar im Kopf.» Mit einem Urteil in dem Prozess wird nicht vor Ende Juni gerechnet.

© dpa-infocom, dpa:210328-99-04343/4