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Realität und ihr Seelenspiegel: Neue Schau in Kunsthalle

Ausstellung "Psyche als Schauplatz des Politischen"
In der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden wird das Werk „Fliegender Hautraum“ von Heidi Bücher aus dem Jahr 1988 gezeigt. Foto: Uli Deck
Das Unterbewusste in Kunst verwandeln - ein alter Hut, sollte man meinen. Aber eine neue Ausstellung in der Kunsthalle arbeitet sich gerade nicht daran ab. Sondern widmet sich mentalen Bildern, die die Gegenwart Künstlern unterschiedlicher Herkunft aufzwingt.
Baden-Baden.

Baden-Baden (dpa/lsw) - Gleich am Anfang ein kurzer Schock, wie ein Fußtritt aus heiterem Himmel, aber nur ein halber. Denn die gleich am Eingang baumelnde vordere Hälfte des mit einem hochhackigen Pumps rot beschuhten Fußes ist abgefressen. Für die neue Ausstellung «Psyche als Schauplatz des Politischen» in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden hat Museumschef Johan Holten einen plakativen Einstieg gewählt mit einigen so drastischen wie auch komischen «Dream Objects» (Traumobjekten) des amerikanischen Künstlers Jim Shaw. Über dem Betrachter hängt etwas bedrohlich ein abgerissenes Riesengemächt, mitten im Raum verteilen sich abgefetzte Elefantenrüssel, Nasen und der Künstler selbst: Als dicke Gottheit steht ihm entsetzt das Weiße in den Augen - oder lacht er zähnefletschend?

Die Welt, sie ist quasi durchglobalisiert und dem Menschen dank Dauerpräsenz sozialer Medien, Bildern und Schreckensnachrichten so aufdringlich nah wie nie zuvor. Künstler spürten eine «wachsende Notwendigkeit, mentale Modelle zu äußern», sagt Holten. Die Schau in Baden-Baden, die an diesem Samstag eröffnet wird, präsentiert dazu zehn künstlerische Positionen aus vier Kontinenten. Es soll ausgelotet werden, inwieweit seelische Verarbeitung von Gegenwart sich in verschiedenen Kulturen voneinander unterscheidet - je nachdem, in welcher Gesellschaft ein Künstler sozialisiert ist.

Wie nah dabei das Politische der Psyche kommt, zeigt eine ebenfalls recht drastische Arbeit einer weiteren Amerikanerin: Liz Magic Laser konstruiert in der Raum- und Videoinstallation «Primal Speech» eine Therapiesitzung mit verschiedenen Patienten in einem ausgepolsterten Zimmer. Ein Mann in durchgeschwitztem hellblauem Hemd spuckt seinen Furor über die politische Gegenwart geradezu heraus, ebenso wie eine Mitpatientin, die auf die monotone Frage der gruselig-unbewegten Therapeutin «Was macht dich wütend» drei mit dem Brexit verbundene Namen herauszischt: David Cameron. Boris Johnson. Nigel Farage. Mit einer Art Urschrei-Therapie wird die Gegenwart verarbeitet. Am Ende schlafen alle erschöpft ein.

In China läuft das ganz anders. Künstlerin Chen Zhe wagt für die chinesische Tradition Unerhörtes: Die junge Frau verletzt sich selbst, ritzt sich Schriftzeichen auf das Handgelenk, zeigt sich in eindrücklichen Fotografien versehrt - eine in chinesischem Selbstverständnis ungehörige Betonung des Individuums, aber ihre Art, auf die rasanten Veränderungen ihrem Land aggressiv zu antworten. Was sie in ihrem eigenen Land zunächst versteckte, wurde in den USA mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen.

So richtig greift die Klammer, mit der zehn Künstler unter einem Motto versammelt werden, zwar auf den ersten Blick nicht. Eindrucksvoll, krass und ungewöhnlich sind die Räume aber sehr wohl und ihre Anordnung auf den zweiten Blick einleuchtend. Eine extra für die Ausstellung geschaffene Arbeit «The Lamplighter's Wooden Pyjamas» von Samara Golden führt den Besucher maximal in die Irre, wenn in einem abgründigen Schwimmbecken Menschen in die Tiefe zu sinken scheinen.

Die Ausstellung wird begleitet von Bildern aus der Heidelberger Sammlung Prinzhorn, die sich der Bewahrung von Kunst von Menschen mit psychischen Ausnahmeerfahrungen widmet. Sie bilden eine eigenartigen Kontrast zu Werken renommierter Künstler, die die Wahrnehmung von außen zumindest immer mitdenken - während die Beiträge aus der Sammlung Prinzhorn von den Betroffenen für sich selbst geschaffen wurden.

Infos zur Sammlung Prinzhorn

Infos der Kunsthalle Baden--Baden zur neuen Ausstellung