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Schulöffnung ade: Stuttgart und Ulm ziehen Notbremse

Schulöffnungen
Ein Klassenzimmer ist leer und verwaist. Foto: Holger John/dpa-Zentralbild/dpa
«Wozu der ganze Zirkus?», fragt ein Lehrerverband. Mitten in die dritte Corona-Welle hinein sollen Schulen auf breiter Front öffnen. Doch manchen Kommunen im Land ist das zu riskant: Sie ziehen vorauseilend die Notbremse.
Ulm.

Stuttgart (dpa/lsw) - Die für Montag geplante Rückkehr aller Kinder und Jugendlichen in die Schulen nach vier Monaten im Lockdown wird nur in Teilen Baden-Württembergs klappen. Die Großstädte Stuttgart und Ulm zogen am Freitag angesichts hoher Infektionszahlen in letzter Minute die Notbremse und verschoben den Start des Präsenz- und Wechselunterrichts vorerst.

Beide Städte sind Corona-Hotspots. Ulm rangierte am Freitag bei 183,0 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in einer Woche und damit noch unter dem Grenzwert 200, ab dem es nur Fernunterricht geben soll. Stuttgart lag mit 207,6 darüber. Daneben gibt es einige Landkreise, die schon länger über dieser kritischen Schwelle liegen. Dazu gehören die Kreise Heilbronn, Schwäbisch Hall, der Hohenlohekreis, Göppingen und Heidenheim. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Kommunen, die ähnlich wie Ulm nah an die Inzidenz 200 heranrücken.

Ministerium will «pragmatische Lösung» für Grenzfälle

Wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr, will das Kultusministerium «pragmatische Lösungen» für diese Grenzfälle ermöglichen. Demnach sollen die Schulleitungen einen Ermessensspielraum bekommen, wenn in ihrem Kreis am Donnerstag oder an diesem Freitag die Inzidenz von 200 erstmalig überschritten wurde und die Tendenz weiter so bleibt. Dann können sie die Schule - außer für Abschlussklassen und Notbetreuung - geschlossen lassen. Das hat Amtschef Michael Föll in einer Runde mit Lehrervertretern am Freitag erklärt. Ein Ministeriumssprecher bestätigte diese Regelung. Die GEW und der Philologenverband gingen das Land hart dafür an, dass es überhaupt an Schulöffnungen bis zu einer Inzidenz von 200 denkt.

Stuttgart macht auch Kitas dicht

Die Stadt Stuttgart will auch die Kitas schließen. «Wir empfehlen, Schulen ab Montag nicht zu öffnen und Kitakinder zu Hause zu betreuen», teilte die Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, Isabel Fezer, mit. «Wenn wir dieser Pandemie Einhalt gebieten wollen, zählt jeder Tag. Wir müssen und wollen die Kontakte weiter reduzieren und in Schulen und Kitas kommen - trotz guter Hygienekonzepte - Tausende Menschen ganz unterschiedlicher Altersgruppen und aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammen. Dies macht sich das Virus zunutze.»

Bisher gibt es nur dringende Empfehlungen

Auch die Stadt Ulm hatte bereits eine ähnliche Empfehlung für die Schulen herausgegeben. Die Städte können bisher nur Empfehlungen aussprechen, weil die rechtliche Grundlage für ein Verbot des Präsenzunterrichts ab einer Inzidenz von 200 noch fehlt. Die Landesregierung in Stuttgart will ihre Corona-Verordnung und die Schulbestimmungen aber am Wochenende aktualisieren und dann die vom Bund verlangte Notbremse einarbeiten. Demnach ist die Voraussetzung für eine fortgesetzte Schließung, dass ein Kreis an drei Tagen hintereinander den Schwellenwert von 200 überschreitet - dann muss am übernächsten Tag der Präsenzunterricht untersagt werden.

In Stuttgart sind gut 230 Schulen und 600 Kitas betroffen. In Ulm sollen die 53 Schulen zunächst größtenteils geschlossen bleiben. Die Stadt Mannheim mit einer Inzidenz von fast 190 will nach eigenen Angeben am Montag wie geplant öffnen. Im Südwesten gibt es rund 4500 Schulen.

Lehrer halten Regierung vor: Nur Koalitionsverhandlungen im Kopf

Der Verband der Gymnasiallehrer kritisierte, die Schulöffnungen in Kreisen mit mehr als 160 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner in einer Woche seien «sinnfrei». «Dort ist ja absehbar innerhalb einer Woche mit erneutem Rückwechsel in den Fernunterricht zu rechnen. Wozu also der ganze Zirkus?», sagte Ralf Scholl, Landeschef des Philologenverbands. «Mein Eindruck ist, die Politiker von Grünen und CDU sind gerade mit den Koalitionsverhandlungen so beschäftigt, dass das Landeswohl und Corona nur noch Nebensache sind.» Es könne auch nicht angehen, dass Öffnungen mit Hinweis auf die Tests durchgedrückt würden. «Ein Corona-Test schützt genauso stark vor Corona wie ein Schwangerschaftstest vor einer Schwangerschaft.»

Sozialministerium: Schnelltests sind ausgeliefert

Das Land setzt beim Neustart für viele Schülerinnen und Schüler vor allem auf die Testpflicht, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Wer mehr als drei Tage in Folge an der Schule ist, muss sich zweimal pro Woche testen lassen. Sind es im Zuge des Wechselunterrichts weniger Tage, reicht auch ein Test pro Woche. Geimpfte und genesene Menschen sind von der Testpflicht befreit. Nach Auskunft des Sozialministeriums sind die übrigen Testkits nach einer zwischenzeitlichen Verzögerung nun ausgeliefert worden. Es hätten alle Landkreise zumindest so viele Selbsttests bekommen, dass am Montag der Schulbetrieb starten kann und nicht eine Schließung erforderlich wird, weil Tests fehlen, erklärte eine Sprecherin. Der Berufsschullehrerverband hatte am Freitag moniert: «Leider sind noch nicht alle Schulen mit Tests ausgestattet.»

© dpa-infocom, dpa:210416-99-233390/4