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Strenge Auflagen für Corona-Demos gefordert

Frank Nopper (CDU), Oberbürgermeister von Stuttgart
Frank Nopper (CDU), Oberbürgermeister von Stuttgart. Foto: Marijan Murat/dpa
Darf ein Massenprotest in Corona-Zeiten eigentlich verboten werden? Er darf. Da sind sich Land und Stadt Stuttgart im Grunde einig. Aber unter welchen Umständen darf er das? Und welche Folgen muss es haben, wenn eine Demonstration so gewaltig ausufert wie in Stuttgart?
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - Vielleicht hat sich Frank Nopper am Montag für wenige Momente auch nach Backnang gesehnt, in die Stadt nahe Stuttgart, in der er als Oberbürgermeister viele Jahre fest im Sattel saß. Seit wenigen Monaten regiert er nun im Rathaus von Stuttgart - und nach dem Massenprotest von Gegnern der Corona-Auflagen am Karsamstag schlägt ihm die Kritik so scharf entgegen wie selten zuvor in seiner Kommunalkarriere. Im Innenausschuss des Landtags wehrte er sich stundenlang gegen die deutliche Kritik der Landtagsabgeordneten und den Vorwurf, das Chaos auf dem Cannstatter Wasen hätte verhindert werden können. Einer seiner stärksten Kritiker: Gesundheitsminister Manne Lucha.

Nach den verstörenden Bildern von Tausenden feiernden Menschen, dicht gedrängt und ohne Masken, forderten zahlreiche Politiker im Ausschuss schärfere Auflagen und das rigorose Prüfen von Verboten bei weiteren Demonstrationen. Lucha erneuerte seine Vorwürfe an Nopper und die Stadtverwaltung. «Ein Verbot auf Grundlage des Versammlungsgesetzes hätte nach den vorliegenden Informationen grundsätzlich ausgesprochen werden können», sagte er zum direkt neben ihm platzierten Nopper.

Für solch ein Verbot habe zum Zeitpunkt der Entscheidung damit gerechnet werden müssen, «dass nach den erkennbaren Umständen des Einzelfalls die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet würde». Davon könne aber ausgegangen werden, wenn Tausende Menschen dicht gedrängt und ohne Masken durch die Stadt liefen, kritisierte Lucha. «Auflagen stoßen hier an ihre Grenzen, ein Verbot der Versammlung ist damit möglich.» Die Stadt hätte zumindest die Anzahl der Teilnehmenden begrenzen sowie einen festen Ort zuweisen können - und vielleicht auch müssen.

Innenminister Thomas Strobl (CDU), zugeschaltet aus Berlin, forderte im Ausschuss strenge Auflagen für ähnliche weitere Proteste. «Ein Verlauf wie am Karsamstag in Stuttgart mit kollektiven Verstößen gegen die Abstands- und Hygieneregeln darf sich nicht wiederholen.» Verbote von größeren Veranstaltungen müssten konsequent in Betracht gezogen und bei einer Erlaubnis schärfere Auflagen erteilt werden. Wer sich auf Demonstrationen nicht an Regeln wie die Maskenpflicht halte, gefährde andere und verhalte sich asozial.

Strobls Parteifreund Thomas Blenke forderte im Ausschuss einen «Runden Tisch». Innen- und Sozialministerium müssten mit Polizei und Kommunen besprechen, wie in solchen Fällen künftig vorgegangen werden könne und ob Regeln gegebenenfalls nachgeschärft werden müssten.

Der stark umstrittene Protest an Karsamstag war von der «Querdenken»-Bewegung angemeldet worden. Auf dem Cannstatter Wasen hatten sich zeitweise bis zu 15 000 Menschen größtenteils ohne Masken und Mindestabstand versammelt und die Stadt in große Erklärungsnot gebracht. Die Debatte um das Verbot hatte in den vergangenen Tagen zu deutlichen Spannungen zwischen der Landesregierung und der Stadtverwaltung geführt. Es geht dabei vor allem um die Frage, warum der schließlich ausgeuferte Protest nicht von vorneherein verboten wurde - so wie es die Stadt bei den beiden angemeldeten Protesten am kommenden Wochenende auch tun möchte.

OB Frank Nopper verteidigte vehement die Erlaubnis für die letztlich ausgeuferte Demonstration, rechtlich habe die Stadt keine Wahl gehabt. Wären die massiven Verstöße im Vorfeld absehbar gewesen, hätte die Stadt die Kundgebung natürlich verbieten können, wie Nopper sagte. Das sei aber nicht der Fall gewesen. «Hinterher ist man immer klüger», ergänzte er. Ein pauschales Verbot sei auch künftig nicht rechtmäßig. Man müsse jeden einzelnen Fall prüfen.

Keine Wahl? Das sieht der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Uli Sckerl, durchaus anders. «Die Stadt Stuttgart hätte mehr Möglichkeiten gehabt, den Querdenkern Paroli zu bieten - auch um jene Eindrücke zu verhindern, die die Akzeptanz des Corona-Managements untergraben», sagte er. Die Behörden hätten die Demonstration zu sehr auf die leichte Schulter genommen. «Angesichts der bundesweiten Werbung hätte die Verwaltung wissen müssen, worauf sie sich einlässt und besser reagieren müssen - etwa indem sie die Versammlung verbietet.»

Wann die Gegner der Corona-Politik allerdings auf die Straße gehen können und wann nicht, wird in letzter Konsequenz auch nicht immer in den Rathäusern entschieden. Denn die Gerichte urteilen nicht einheitlich in dieser Frage, sondern von Fall zu Fall. So hatten für das vergangene Wochenende die Städte Heilbronn und Rastatt geplante Demos mit Verweis auf den Infektionsschutz untersagt. In beiden Fällen wehrten sich die Veranstalter - mal erfolgreich, mal nicht.

Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet Teile der Gruppierung der «Querdenker». Die Behörde ordnet mehrere Akteure dem Milieu der «Reichsbürger» und «Selbstverwalter» zu, die unter anderem demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren. Die «Querdenken»-Bewegung weist diese Vorwürfe zurück.

© dpa-infocom, dpa:210412-99-174782/6