Doch wenn man als Wissenschaftler so agiere, sei man heute sofort «mittendrin im breiten öffentlichen Meinungskampf» um die Corona-Pandemie. «Und das ist für jemanden, dem es um Fakten und gesicherte Erkenntnis geht, eine, sagen wir mal, interessante und lehrreiche Erfahrung.» Wissenschaftliche Beiträge würden nicht mehr sachlich und kühl diskutiert, sondern seien Teil einer «ungemein hart geführten» Debatte. «Das Ganze findet rund um die Uhr bei hohen Temperaturen im Schleuderwaschgang der sozialen Medien statt.»
Drosten warb um Verständnis dafür, dass sich die wissenschaftliche Sicht auf neuartige Viren auch ändern könne, es gelte die Logik des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns. Der Weg sei mit einer Expedition ins Unbekannte zu vergleichen, die Irrungen und Rückschläge mit einschließe. «Ursprüngliche Theorien und Annahmen können sich als falsch erweisen und gleichzeitig wichtige neue Impulse liefern. Für Menschen, die dies nicht gewohnt sind, ist das mitunter schwer nachzuvollziehen.» Zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr hatten viele Wissenschaftler zum Beispiel das Tragen von Mund-Nasen-Masken für eher unnötig erachtet - inzwischen werden diese als wichtiges Schutzinstrument empfohlen.
Drosten (48) arbeitet an der Berliner Charité und berät in der Corona-Pandemie auch die Bundesregierung. Das Deutsche Literaturarchiv Marbach vergibt die Schillerrede jährlich an einen neuen Redner und will damit an den Geburtstag von Friedrich Schiller (1759-1805) erinnern, der in Marbach geboren wurde.