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Zahl der antisemitischen Vorfälle auf Plattform gestiegen

Antisemitische Vorfälle
Passanten gehen an dem zerstörten Wandbild vorbei. Foto: Carsten Koall/dpa/Archivbild
Juden sind auch in Baden-Württemberg Ziel von Beschimpfungen und Anfeindungen. Eine Studie hat den Antisemitismus in Baden-Württemberg untersucht. Sie widmet sich auch der Frage, wie stark sich der Hass auf das Jüdische gegen Israel entlädt.
Sersheim.

Stuttgart (dpa/lsw) - Geschmierte Hakenkreuze, judenfeindliche Posts in Internet-Chats oder abfällige Kommentare rund um die Corona-Impfkampagne - Antisemitismus bricht sich auch in Baden-Württemberg immer wieder Bahn, er wird aber auch zunehmend wahrgenommen und gemeldet. Im zweiten Jahr ihres Angebots ist die Zahl der gemeldeten antisemitischen Vorfälle auf der offiziellen Onlineplattform deutlich gestiegen. Nach Angaben des Antisemitismus-Beauftragten des Landes, Michael Blume, wurde mit 224 Meldungen im ersten Vierteljahr bereits fast der Wert des gesamten vergangenen Jahres (228) erreicht.

«Überwiegend handelt es sich dabei um Vorfälle aus dem Internet», sagte Blume am Donnerstag. Die Zunahme liege zum einen an der gestiegenen Bekanntheit der Meldestelle, zum anderen aber auch an der digitalen Radikalisierung. «Durch das Internet verschieben sich die Grenzen des Sagbaren», warnte er. Menschen würden sich zunehmend radikalisieren bis hin zur Strafbarkeit.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) nennt das Netz «die größte Plattform bei der Verbreitung an antisemitischer Verleumdung, Hetze und der Radikalisierung [...] - global und rund um die Uhr». Das Internet dürfe aber nicht zum Marktplatz für Hass und Hetze werden, forderte er.

Durch die Online-Plattform, die beim Demokratiezentrum Baden-Württemberg angesiedelt ist, sollen Betroffene unterstützt und antisemitische Vorfälle im Land festgehalten und eingeordnet werden. Seit November 2019 können dort Vorfälle in einer speziell ausgewiesenen Antisemitismus-Kategorie gemeldet werden - vorher wurde nur allgemeiner zwischen Online-Hasskommentaren und «antidemokratischen Vorfällen» unterschieden. Juristisch ausgebildete Mitarbeiter prüfen die Meldungen auf strafrechtliche Relevanz und bringen sie gegebenenfalls zur Anzeige.

Während der Corona-Pandemie hätten vor allem Verschwörungsmythen enorm an Zulauf gewonnen, warnte Blume zudem bei der Vorlage einer neuen Studie zu antisemitischen Ressentiments in Baden-Württemberg im Jahr der Covid-19-Krise. Fast alle hätten einen antisemitischen Hintergrund und würden durch das Weiterleiten im Internet angeheizt. «Verschwörungsmythen im Kontext der Corona-Pandemie enthalten oftmals antisemitische Narrative», heißt es dazu auch im Sicherheitsbericht des baden-württembergischen Innenministeriums.

Außerdem setzen immer mehr Menschen den Hass auf Juden mit einer Abneigung gegen den Staat Israel gleich, wie aus der Studie hervorgeht, die Blume in Auftrag gegeben hat. «Klassische antisemitische Einstellungen gehen zurück», sagte er. «Aber dafür sehen wir, wie antisemitische Verschwörungsmythen über Umwege aufrechterhalten werden.»

Nach der Auswertung, die allerdings nur auf die Befragung von 310 Menschen im Südwesten zurückgeht, stimmen 65,5 Prozent der Menschen der Aussage zu «Wir sollten uns lieber gegenwärtigen Problemen widmen als Ereignissen, die mehr als 70 Jahre vergangen sind». Weitere rund 20 Prozent würden hier latent zustimmen, sagte Oliver Decker, der Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung, das die Studie erstellt hat. Fast 72 Prozent sind latent oder voll bei der Aussage «Israels Politik in Palästina ist genau so schlimm wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg». Und 47,4 Prozent würden dies mehr oder weniger tun bei dem Satz «Durch die israelische Politik werden mir die Juden immer unsympathischer».

«Der Hass auf Israel sowie Verschwörungserzählungen sind auch Äußerungsformen des Antisemitismus», sagte Decker. Judenhass sei eine dunkle Ressource, die in Krisen für viele Menschen attraktiv werde. «Covid-19 wirkt dabei als Brandbeschleuniger: Die weit verbreitete Verschwörungsmentalität macht auch offen antisemitische Ressentiments wieder salonfähig», sagte er.

© dpa-infocom, dpa:210429-99-405835/4

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