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Reisebüros «mit Zukunft»
Betriebsratschef: «Tui unter Kostendruck»

Tui-Logo
Tui-Logo an der Fassade eines Reisebüros. Etliche Betreiber der branchenweit rund 8000 Büros im Land bangen um ihre Existenz. Foto: Nicolas Armer/dpa
Frank Jakobi
Tui steht nach Überzeugung von Betriebsratschef Frank Jakobi auch mit den staatlichen Milliardenhilfen unter hohem finanziellen Druck. Foto: Swen Pförtner/dpa
Staatseinstieg und Milliardenhilfen verschaffen der Tui Luft. Doch trotz - oder gerade wegen - der steuerfinanzierten Unterstützung muss der Konzern weiter seine Ausgaben drücken, ohne das Kerngeschäft zu beschädigen. Betriebsratschef Jakobi erläutert, wie das klappen soll.

Hannover (dpa) - Tui steht nach Überzeugung von Betriebsratschef Frank Jakobi auch mit den staatlichen Milliardenhilfen unter hohem finanziellen Druck.

«Natürlich beschäftigt sich das Management aktuell noch stärker mit dem Kostenthema», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Hannover. Für stationäre Reisebüros sieht Jakobi insgesamt weiterhin gute Chancen - es werde künftig jedoch stärker darauf ankommen, den Kunden dort noch mehr Zusatzangebote zu machen.

Die Vereinbarungen bei Tui mit freiwilligem Ausscheiden bedeuteten für die Betriebsräte «eine sehr schwierige Verhandlungsposition»: «Auf der einen Seite gibt es die wirtschaftliche Realität einer hoch verschuldeten Tui. Auf der anderen Seite geht es darum, möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern», erklärte Jakobi. Dabei wisse man noch nicht, wie sich der Bund als neuer Großaktionär positioniere.

Auch die Verhandlungen über Einsparungen bei Tuifly seien alles andere als leicht. «Tuifly befasst sich schon lange mit der Frage: Was ist die ideale Flottengröße?» Die vom Aufsichtsrat beschlossene Reduzierung in Deutschland auf 17 Jets hätten externe Berater bereits vor der Corona-Krise empfohlen. Eine optimale Auslastung im Sommer und im buchungsschwachen Winter solle mit dieser Zahl möglich sein.

«Ein Flugzeug, das nicht fliegt, verursacht sehr hohe Kosten - auch mit Blick auf die Ausgaben für Leasing oder Personal», räumte Jakobi ein. Die Gefahr teurer Überkapazitäten bleibe vorerst hoch. Nach der Insolvenz von Air Berlin 2017 hätten viele Beobachter gedacht, dass überschüssige Maschinen verschwinden. «Aber sie blieben im Markt.» Und nach der Corona-Krise dürften die nötigen Linien-Kapazitäten noch geringer sein als davor. «Das Geschäft mit den Geschäftsreisenden kommt wahrscheinlich nicht im alten Umfang zurück», schätzte Jakobi.

So könne für Tui und Tuifly durch die Lufthansa-Plattform Ocean «ein neuer großer Mitbewerber» in der Touristik entstehen. Die ungarische Airline Wizz sei hier ebenso nicht zu unterschätzen. Eine anfangs noch geplante eigene Tuifly-Langstrecke hielten Experten absehbar für unrealistisch - das Fern-Segment kehre wohl erst später zurück.

«Als Marktteilnehmer muss Tuifly sich diesen Herausforderungen stellen», sagte Jakobi. Um den Beschäftigten Sicherheit zu geben, hat der Konzernbetriebsrat einen zweijährigen Kündigungsschutz für alle in Deutschland Beschäftigten bis Dezember 2021 vereinbart. Nun wolle das Management aber bestimmte Bereiche der Airline international aufstellen. «Das kann bedeuten, dass deutsche Arbeitsplätze innerhalb der Tui ins Ausland abwandern. An dieser Stelle müssen wir als europäische Betriebsräte aufpassen, dass Beschäftigte nicht auf internationaler Ebene gegeneinander ausgespielt werden.»

Die im Herbst abgebrochenen Gespräche zwischen der Tuifly-Führung und der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) sollen weitergehen. Am 4. Februar ist ein Treffen mit einem Mediator geplant. Knackpunkt bleibt die VC-Forderung eines weiterhin festen Kündigungsschutzes, die das Unternehmen mit Verweis auf den mittelfristigen Spardruck und die Überkapazitäten bisher ablehnt. Jakobi hatte die Piloten zu mehr Verzichtsbereitschaft im Konzernumbau aufgerufen - was Teile der Belegschaft unterstützten, manche Piloten aber scharf kritisierten.

Der pandemiebedingte Einbruch in der Touristik machte 2020 auch vielen niedergelassenen Reisebüros zu schaffen. Jakobi, der selbst aus dem Bereich kommt, sieht Perspektiven für das stationäre Geschäft - sofern es gelingt, Verbrauchern einen Mehrwert zu bieten. «Wir haben schon länger einen starken Trend zu Dotcom-Angeboten», sagte er zur Digitalisierung der Sparte, die Tui-Chef Fritz Joussen schon vor Corona vorangetrieben hatte. «Das wird aber nicht dazu führen, dass wir keine stationären Reisebüros mehr in Deutschland haben.»

Etliche Betreiber der branchenweit rund 8000 Büros im Land bangen um ihre Existenz. Einige externe Partner hatten Tui für die Annahme der Staatshilfen scharf kritisiert und gewarnt, so werde letztlich der Wettbewerb verzerrt. Hierauf ging Jakobi nicht näher ein. Bei den allgemeinen Chancen zog er Parallelen zum Einzelhandel: «Es gibt trotz Online-Konkurrenz ja weiter tolle Buchläden - aber viele haben ihr Angebot eben auch ausgeweitet, sich geöffnet für neue Produkte. Ich denke, das ist der Schlüssel für das, was auf die Reisebüros zukommt.» Und auch das Kreuzfahrtgeschäft werde wiederkommen.

Kunden buchten immer öfter online. «Wenn sie dann aber bestimmte Fragen haben, gehen sie auch wieder ins Reisebüro. Künftig können wir die Kunden dort also zusätzlich beraten, Buchungen generieren und weitere Services anbieten. Alle Kanäle werden miteinander kommunizieren und immer stärker verschmelzen.» Persönliche Kontakte sicherten zudem das Vertrauen: «Viele Kunden wünschen sich kompetente Ansprechpartner vor Ort, da reicht eine Dotcom-Seite nicht.»

Pauschalen Filialabbau werde es mit ihm nicht geben, stellte Jakobi klar. Im Herbst hatte die Tui-Deutschland-Spitze erklärt, 60 der 400 eigenen Reisebüros im Land schließen zu wollen. «Natürlich kann Tui es sich nicht leisten, Vertretungen mit dauerhaft roten Zahlen über viele Jahre zu subventionieren», sagte er. «Aber vor der Schließung gibt es noch andere Möglichkeiten, einen Standort wirtschaftlich zu drehen. Den Vorstellungen des Managements zu fantasielosem Handeln haben wir vehement widersprochen. Wir kämpfen um jedes Büro und jeden Arbeitsplatz.» In diesen Tagen wird weiterverhandelt.

© dpa-infocom, dpa:210126-99-169967/4