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Vorfälle in Deutschland
Bundesregierung: «Antisemitische Kundgebungen nicht dulden»

Nach Flaggenverbrennung
Die Stadt Solingen hat erneut eine israelische Flagge vor dem Rathaus gehisst. Zuvor war eine solche dort verbrannt worden. Foto: Henning Kaiser/dpa
Kundgebung gegen Antisemitismus
Zwei Tage nach antisemitischen Parolen in Gelsenkirchen sind Menschen vor der Synagoge zusammengekommen, um Solidarität mit jüdischen Mitbürgern zu zeigen. Foto: Fabian Strauch/dpa
Nach Demo in Gelsenkirchen
Am Tag nach den antisemitischen Vorfällen steht ein Polizeiwagen vor der Synagoge in Gelsenkirchen. Foto: Roberto Pfeil/dpa
Palästinenserdemonstration
In Berlin demonstrieren Menschen am Freitag mit palästinensischen Fahnen. Foto: Michael Kappeler/dpa
Antisemitismus
Das Archivfoto zeigt eine Kundgebung gegen Antisemitismus in Hannover. Foto: Christophe Gateau/dpa
Brennende Israel-Flaggen und antisemitische Parolen sorgen für Empörung. Die Bundesregierung findet deutliche Worte. Und der Zentralrat der Juden richtet einen Appell an die Bevölkerung.

Berlin (dpa) - Die Bundesregierung hat antisemitische Demonstrationen und Aktionen in Deutschland scharf verurteilt und jüdischen Einrichtungen zusätzlichen Schutz in Aussicht gestellt.

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Freitag, dass friedliche Demonstrationen gegen die Politik Israels in Deutschland zwar selbstverständlich möglich seien. «Wer solche Proteste aber nutzt, um seinen Judenhass herauszuschreien, der missbraucht das Demonstrationsrecht. Antisemitische Kundgebungen wird unsere Demokratie nicht dulden.»

Ähnlich hatte sich zuvor schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geäußert: «Nichts rechtfertigt die Bedrohung von Jüdinnen und Juden in Deutschland oder Angriffe auf Synagogen in deutschen Städten. Judenhass - ganz gleich von wem - wollen und werden wir in unserem Land nicht dulden.»

Nach der gewaltsamen Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der palästinensischen Hamas hatte es in mehreren Städten antisemitische und anti-israelische Demonstrationen gegeben. Dabei wurden Israel-Flaggen angezündet, in Gelsenkirchen marschierten 180 Menschen von Bahnhofsvorplatz in Richtung Synagoge und skandierten antisemitische Parolen. Ein Video davon führte zu einem Sturm der Entrüstung.

Die Polizei hat inzwischen die ersten zwei Tatverdächtigen ermittelt. Man sei zuversichtlich, weitere Tatverdächtige zu identifizieren, sagte ein Polizeisprecher am Freitag. Aus der Bevölkerung habe man zahlreiche Hinweise erhalten. Den Angaben zufolge geht es bei den Ermittlungen um Volksverhetzung, Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung. Bei den Tatverdächtigen handele es sich um einen 26 Jahre alten Deutsch-Libanesen aus Gelsenkirchen und einen 30-jährigen Deutschen, der ebenfalls in Gelsenkirchen wohne, teilte die Polizei mit.

Am Freitag versammelten sich an der Synagoge nach Polizeiangaben rund 300 Menschen, um gegen Antisemitismus zu demonstrieren. Sie folgten damit einem Aufruf der Gelsenkirchener «Initiative gegen Antisemitismus».

Regierungssprecher Seibert sagte in Berlin, wer mit seinen Protesten vor eine Synagoge ziehe und jüdische Symbole beschädige, der zeige damit schon, dass es ihm nicht um die Kritik an einem Staat gehe, «sondern um Aggression und Hass gegen eine Religion und die, die ihr angehören». Dem werde man sich mit aller Kraft eines demokratischen Rechtsstaats entgegenstellen.

Am Freitag wurden weitere Vorfälle bekannt. Unbekannte zündeten eine vor dem Düsseldorfer Rathaus gehisste israelische Flagge an. Eine vor dem Neubrandenburger Rathaus aufgezogene Israel-Fahne wurde gestohlen. In Nordhausen in Thüringen versuchten drei Unbekannte, die israelische Flagge vor dem Rathaus anzuzünden.

Seibert sagte, die Behörden arbeiteten mit größtem Engagement daran, solche Taten aufzuklären, die Täter zu bestrafen und jüdische Einrichtungen zu schützen. Ein Sprecher des Innenministeriums ergänzte, dass derzeit geprüft werde, ob für bestimmte jüdische Einrichtungen zusätzliche Schutzmaßnahmen nötig seien. Der Bund werde den Ländern auf Anfrage dafür Kräfte der Bundespolizei zur Verfügung stellen. «Bisher ist eine solche Anforderung allerdings nicht erfolgt.»

Vorausgegangen war ein eindringlicher Appell des israelischen Botschafters in Deutschland, Jeremy Issacharoff: «Ich bitte die deutschen Behörden dringend, alles dafür zu tun, für die Sicherheit unserer Gemeinde hier zu sorgen», sagte er im ARD-«Morgenmagazin».

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, rief die deutsche Bevölkerung auf, nicht wegzuschauen. «Wir erwarten, dass die Bürger sich gegen diesen Antisemitismus stellen! Und zwar lautstark und öffentlich», sagte er in einem Grußwort zum FDP-Parteitag. «Es reicht!»

Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, kritisierte die antisemitischen Proteste vor Synagogen. «Ich verurteile entschieden solch widerliche Szenen», sagte er der «Rheinischen Post» (Samstag). «Wer Rassismus beklagt, selbst aber solch antisemitischen Hass verbreitet, hat alles verwirkt. Wer angeblich Israelkritik üben will, dann aber Synagogen und Juden angreift, greift uns alle an und wird meinen Widerstand bekommen.»

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, ermutigte auch andere Islam-Verbände, hier mäßigend zu wirken. Am Freitag demonstrierten in Berlin laut Polizei rund 200 Menschen, sie schwenkten palästinensische Fahnen und skandierten «Freiheit für Palästina» sowie «Stoppt den Mord, stoppt den Krieg». Die Stadt Frankfurt verbot eine pro-palästinensische Kundgebung in der Innenstadt an diesem Samstag kurzfristig. Grund seien Befürchtungen um die öffentliche Sicherheit, sagte der Sicherheitsdezernent der Stadt. Zuvor hatte «Bild.de» darüber berichtet. Für Samstag waren in Berlin und Köln weitere Demonstrationen von Palästinensern geplant.

© dpa-infocom, dpa:210514-99-593792/10