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Porträt
Charmanter Diplomat: Timmermans als EU-Kommissionschef?

Frans Timmermans
Sozialdemokrat Frans Timmermans hat beste Chancen auf die Nachfolge von Jean-Claude Juncker. Foto: Sina Schuldt
Brüssel (dpa) - Fünf Wochen lang war von Frans Timmermans fast gar nichts zu sehen. Nach der Europawahl tauchte der Sozialdemokrat ab.

Wer den 58-Jährigen in Brüssel traf und nach seinen Chancen auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten fragte, bekam eine freundliche Abfuhr. Das werde er hoffentlich bald erfahren, sagte Timmermans dann verschmitzt. Das wisse er auch nicht, sagte Timmermans noch am Nachmittag und bekräftigte nur. «Ich bin Kandidat.»

Die meisten hatten den Niederländer schon abgeschrieben. Am Wochenende sah dann plötzlich alles ganz anders aus. Der Vizepräsident der Europäischen Kommission hatte unversehens doch noch Chancen, als Nachfolger von Jean-Claude Juncker den Chefposten in der Brüsseler Regierungszentrale Berlaymont aufzurücken. Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), der CSU-Politiker Manfred Weber, schien aus dem Rennen. Allerdings stritten die EU-Staats- und Regierungschefs am Sonntagabend in Brüssel erneut heftig über die Personalie.

Weber und Timmermans hatten sich als Spitzenkandidaten ihrer Parteienfamilien bei der Europawahl Ende Mai ein Duell geliefert. Das Ergebnis: Weber lag mit der EVP vorn, erhielt aber nur 24 Prozent der Mandate. Timmermans' Sozialdemokraten kamen mit 20,5 Prozent als Zweite ins Ziel. Ergo beanspruchte Weber das Amt des Kommissionschefs und bewegte das Europaparlament zu der Ansage, dass es nur einen der Spitzenkandidaten in das Amt wählen wolle. Der Weg schien geebnet für Weber.

Nur schaffte es der CSU-Politiker nicht, sich im EU-Parlament eine Mehrheit zu sichern. Und im Rat der Staats- und Regierungschefs gab es massiven Widerstand gegen ihn. Nach der Logik der Festlegung des Europaparlaments blieb dann eigentlich nur noch Timmermans. Einige zählten auch die Liberale Margrethe Vestager mit in den Kreis der Bewerber, obwohl sie nicht alleinige Spitzenkandidatin ihrer Parteienfamilie war.

In dem ganzen partei- und machtpolitischen Hin und Her gab es fast niemanden, der Timmermans Eignung und Erfahrung absprach. Der Niederländer ist seit fünf Jahren Erster Vizepräsident der EU-Kommission. Zuvor war er bereits niederländischer Außenminister. Der Diplomatensohn parliert charmant und flüssig in sieben Sprachen. Im Wahlkampf beeindruckte er auch das deutsche Fernsehpublikum mit Schlagfertigkeit in fabelhaftem Deutsch.

Der massige Mann mit den klingenden Vornamen Franciscus Cornelis Gerardus Maria stammt aus Heerlen an der deutsch-niederländischen Grenze, lebte aber in jungen Jahren schon in Paris, Brüssel und Rom. Er studierte französische Literatur- und Sprachwissenschaft in den Niederlanden und französische Literatur, Politik und Europarecht im französischen Nancy, bevor er wie sein Vater Diplomat wurde.

Politisch bewegte sich Timmermans lange so mehrheitsfähig-mittig, dass Linke ihn als verkappten Liberalen verdächtigten. Im Wahlkampf gab er sich dann ein etwas linkeres Profil und stritt vor allem für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. «Wir müssen Europa dringend verändern», sagte Timmermans. «Wir brauchen ein progressives Europa.»

In der Kommission war Timmermans unter anderem zuständig für das Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen, das er mit großer Verve vorantrieb. Auch der Streit über den Umbau von Justiz, Hochschulen und Medien in Ungarn lag bei Timmermans, ebenso die Auseinandersetzung über Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung in Rumänien. Für seine Bewerbung war das am Ende der größte Stolperstein: Im Osten der EU hat Timmermans viele Gegner.

Als der Name am Wochenende wieder fiel, meldete sich prompt ein ungarischer Regierungssprecher im Namen der sogenannten Visegrad-Staaten - das sind Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei - mit einem kategorischen Nein. Und dann grollte auch noch die EVP über den Plan, Timmermans im Sinne einer pragmatischen Lösung Weber vorzuziehen. Recht düster machte der zur EVP gehörende irische Ministerpräsident Leo Varadkar die Ansage, der Vorschlag Timmermans sei noch lange nicht durch.