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Etwa 465.000 Risikofälle
Computerspiele: Experten warnen vor Suchtgefahr für Kinder

Computerspiele
Betroffene haben mehr emotionale Probleme als unauffällige Spieler. Foto: Georg Wendt
Computerspiele sind Teil der Jugendkultur. Aber können sie auch ungesund für Kinder und Teenager sein? Manche Experten sehen die Sache deutlich anders als die Spielebranche.

Berlin (dpa) - Im Umgang mit Computerspielen legen nach Hochrechnungen rund 465.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland ein auffälliges Verhalten bis hin zur Sucht an den Tag.

Das geht aus der Studie «Geld für Games» des Deutschen Zentrums für Suchtfragen (Hamburg) und der Krankenkasse DAK-Gesundheit hervor, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Für die Untersuchung wurden tausend 12- bis 17-Jährige zu ihrem Spielverhalten befragt. Die Suchtexperten sehen bei rund 12 Prozent der Teilnehmer Anzeichen riskanten und bei rund 3 Prozent Anzeichen krankhaften Spielverhaltens.

«Wenn mehr als 450.000 Jugendliche in Deutschland Gefahr laufen, die Kontrolle über das eigene Computerspielen zu verlieren, dann läuft etwas richtig schief», erklärte Marlene Mortler (CSU), Beauftragte der Bundesregierung für Drogenfragen.

Um riskantes Spielen zu definieren, nutzte Studienautor Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters, ein US-Diagnosehandbuch. Zu den Kriterien zählen danach Interessensverlust an früheren Hobbys, ständiges Denken ans Spielen, Entzugserscheinungen, Lügen über das Ausmaß des Spielverhaltens, Kontrollverlust bezüglich der Spieldauer und Gefährdung des eigenen Werdegangs.

Am Zentrum an der Uni-Klinik Hamburg wird nach Thomasius Angaben inzwischen ein Viertel der Patienten wegen Mediensucht behandelt. «Die Zahl der Schwerbetroffenen nimmt zu», sagte er.

Im Ergebnis der Studie spielten rund 70 Prozent der Jugendlichen regelmäßig Computerspiele, das sind rund drei Millionen Teenager in dieser Altersgruppe. Zwei Drittel davon waren Jungen. Sie investierten unter der Woche durchschnittlich zweieinhalb Stunden Zeit in ihr Hobby, am Wochenende waren es drei Stunden. Die Gruppe der insgesamt 15 Prozent «Risikogamer» spielte jeweils ein bis zwei Stunden länger.

Die regelmäßigen Spieler gaben laut Studie in einem halben Jahr durchschnittlich 110 Euro für die Anschaffung von Spielen und Extras aus. Die Ausgaben schwankten dabei stark zwischen 20 und über 200 Euro, in Ausnahmefällen ging es bis zu 1000 Euro.

Richtig ärgerlich sei, wenn Jugendliche in einigen Spielen «abgezockt» würden, sagt Mortler. Spielehersteller installierten «dubiose Mechanismen», um jungen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, darunter sogenannte Lootboxen. Das sind Überraschungskisten mit virtuellen Inhalten, die Spieler als Belohnung für erreichte Spielziele oder gegen Bezahlung erhalten. Mortler stuft das als Glücksspiel ein, das Jugendlichen in Deutschland nicht angeboten werden dürfte. «Da müssen die Aufsichtsbehörden einfach ran», ergänzte sie.

Der Branchenverband Game sieht die Spiele als festen Bestand der Jugendkultur und geht davon aus, dass weniger als ein Prozent aller Spielenden ein ungesundes Nutzungsverhalten entwickelten. Der Verband lehne ein Verbot von Lootboxen weiter ab, sagte Geschäftsführer Felix Falk. Entscheidende Unterschiede zu Glücksspielen würden in der Debatte übersehen.

So enthielten Lootboxen immer einen vorher genannten Umfang an virtuellen Gegenständen und Zusatzinhalten, lediglich die exakten Inhalte seien nicht bekannt. «So wie auch bei Panini-Sammelbildern oder Überraschungseiern», ergänzte er. Der Spieler erhalte immer einen Gegenwert in Form virtueller Inhalte. Ein Verlust des eingesetzten Geldes ist deshalb nach Meinung der Branche ausgeschlossen.

DAK-Vorstandschef Andreas Storm nannte die Studie «ein Stück weit erschreckend». Denn sie zeige, dass das Abgleiten in ein Suchtverhalten beachtliche Dimensionen erreicht habe. Die Folgen sind für Suchtforscher Thomasius bedenklich: Risikogamer fehlten öfter in der Schule, seien häufiger hyperaktiv und hätten mehr emotionale und Verhaltensprobleme als unauffällige Spieler.

Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die Spieleindustrie die Aufmerksamkeit der Jugendlichen clever fessele und ihnen auch für vermeintlich kostenlose Spiele mehr und mehr Taschengeld entlocke, sagte Storm. Er forderte ein Verbot von Lootboxen. Belgien und die Niederlande hätten Glücksspielelemente in solchen Spielen bereits verboten. Nötig seien außerdem Warnhinweise für Spielzeiten und Ausgaben.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht Online-Spielsucht seit 2018 als eigenständige Krankheit an. Kritiker fürchten allerdings, dass Menschen auch fälschlich als therapiebedürftig eingestuft werden könnten - oder dass sie eher wegen anderer Probleme wie einer Depression oder sozialen Angststörung behandelt werden müssten.