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Elektronik
Halbleiter: Warum die globale Lieferkrise gefährlich bleibt

Halbleiterproduktion
In einem Reinraum wird ein Siliziumwafer für die Halbleiterherstellung geprüft. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa
Mikrochips sind allgegenwärtig - nicht nur in Computern. Kein Auto, keine Maschine kommt mehr ohne Elektronik-Bauteile aus. In manchen Branchen könnten Halbleiter noch länger knapp bleiben als befürchtet.

Hannover/Frankfurt (dpa) - Seit mehr als einem halben Jahr bringt der Chipmangel die verwundbare Autoindustrie weltweit aus dem Takt - und entgegen früheren Erwartungen dürfte die Lieferkrise in anderen Branchen auch nicht so bald abflauen.

Anbieter waren auf IT oder Unterhaltungselektronik umgeschwenkt, nachdem die Autobauer wegen des Corona-Einbruchs große Halbleiter-Mengen quasi wieder abbestellt hatten. Das rächte sich. Aber die Produktionskapazitäten werden auch insgesamt knapp - ausgerechnet bei der überall verbauten Mikrotechnik.

Weshalb Halbleiter unerlässlich sind

Fast nichts läuft in unserem vernetzten Alltag mehr ohne die Elektronik-Grundbausteine. Ihre Funktion basiert auf den Eigenschaften vor allem der Elemente Silizium und Germanium. Diese lassen, anders als starke Leiter, die punktgenaue Steuerung schwacher Stromflüsse zu - ein Grundprinzip für integrierte Schaltungen, das Herzstück aller elektronischen Systeme.

Schon die Verarbeitung («Dotieren») der Halbleiter in Reinräumen und der Bau einfacher Module sind komplex, nicht viele Unternehmen können das leisten. «Der Bedarf wird weiter stark steigen», schätzt der Chef des deutschen Elektronik-Branchenverbands ZVEI, Wolfgang Weber. Es gebe überall Knappheiten. «Auch die Autoindustrie hat verstanden, dass sie fehlende Teile nicht einfach herbeizaubern kann.»

Ohne Mikrochips kein modernes Auto

Nach dem allgemeinen Siegeszug des Computers und Smartphones gelten die Anwendungen im Auto als das Zukunftsgeschäft der Halbleiter-Produzenten. Bereits vor dem Anziehen der E-Mobilität und Vernetzung waren Motorsteuergeräte, Bordrechner und Assistenzfunktionen ohne Elektronik undenkbar. Gleiches trifft auf Speicher und Sensoren zu, die laut dem Halbleiter-Experten Ulrich Schäfer «ein deutlich überdurchschnittliches Wachstum haben werden».

Weber ergänzt: «Das autonome Fahren und Infotainment im Auto werden den Bedarf an speziellen Chips noch erhöhen. Das gilt auch für die Sensorik» - etwa in der Verkehrsinfrastruktur mit Signalgebern an Straßen oder Gebäuden. Halbleiter-Komponenten wie Dioden finden sich zudem in der immer öfter genutzten LED-Beleuchtung, innen wie außen.

Die Lage bei den Fahrzeugherstellern

Schichtausfälle und Kurzarbeit wegen fehlender Lieferungen gab es seit dem Winter mehrfach, zuletzt häuften sich die Einbußen an den Linien wieder. Der Branchenverband VDA warnt: «Die Versorgung mit Halbleitern wird auch im zweiten Halbjahr angespannt bleiben. Global wird intensiv daran gearbeitet, die Versorgung - insbesondere auf der Ebene der Chip-Hersteller - sicherzustellen.» Die Beratungsfirma Alix glaubt, dass wegen der Engpässe 2021 weltweit bis zu 3,9 Millionen Fahrzeuge weniger gebaut werden könnten.

Was könnte helfen? Die Elektronikindustrie rät den Kunden, voreilige Stornierungen künftig zu überdenken. «Ein guter Beitrag wird vermutlich sein, im Rahmen des rechtlich Möglichen längerfristige Abnahmeverträge mit Lieferanten zu schließen», sagt Weber. Schäfer teilt diese Sicht: «So war es in der Vergangenheit, und da müssen wir wieder hinkommen nach den Panikreaktionen des extremen Einbruchs.»

Wo es im Einzelnen stockt

Der VW-Konzern sprach Ende Juni von einer weiterhin «extrem volatilen» Situation. Im Laufe des ersten Quartals hatten die Wolfsburger schon 100.000 eingeplante Wagen nicht fertigen können. Wie die zweite Jahreshälfte werde, sei nicht klar zu sagen. Eine «Taskforce» betreut das Thema Halbleiter aber rund um die Uhr. In Wolfsburg, Emden und bei Skoda kam es zu weiterer Kurzarbeit.

Die Tochter Audi fuhr die Produktion nach Arbeitsausfällen für 10.000 Beschäftigte im Mai zuletzt wieder hoch. Porsche nimmt an, dass die Versorgung an sich angespannt bleibt. «Wir erwarten aber im zweiten Halbjahr eine Verbesserung.» BMW musste die Fertigung auch im größten europäischen Werk Dingolfing einschränken. Der Vorstand sah schon im Mai mehr Schwankungen in der zweiten Jahreshälfte - Chef Oliver Zipse erwartet, dass sich die Krise ein bis zwei Jahre hinziehen könnte.

Mercedes-Benz erklärte: «Wir fahren weiter auf Sicht. Die Situation ist volatil.» Auch hier gab es Kurzarbeit. Beim Opel-Mutterkonzern Stellantis ließ die Chipkrise im ersten Jahresviertel eine Produktion von 190.000 Fahrzeugen ins Wasser fallen - 11 Prozent des geplanten Volumens. In den Kölner Ford-Werken mussten die Bänder wegen des Halbleiter-Mangels bereits über Wochen komplett angehalten werden.

Auch andere Branchen brauchen Nachschub

Bei Herstellern von Laptops, Tablets und TV-Geräten brummt das Geschäft, nicht zuletzt wegen des Trends zum Homeoffice in der Corona-Krise. Ähnliches gilt für Spielekonsolen und Hi-Fi, Medizin-Hightech wie Beatmungsgeräte oder Kernspintomografen und das IT-Kernsegment, wie der ZVEI berichtet.

Wo sollen all die Chips herkommen, wenn der Bedarf so hoch bleiben oder gar noch zulegen sollte - und zudem die Autobauer mit Macht in den Markt zurückdrängen? «Der Wettbewerb der Anwendungen ist massiv gestiegen», so Schäfer. Aber die Halbleiter-Fertigung lasse sich nicht übers Knie brechen: «Da haben Sie eine mittlere Durchlaufzeit von einem Vierteljahr.» Parallel steigt die Nachfrage in aller Welt: Statistisch kommen 41 integrierte Schaltkreise auf einen Erdbewohner.

Forderungen nach mehr Produktion in Europa

Abnehmer für Halbleiter gibt es auch noch anderswo - bei erneuerbaren Energien, in der Fabrikautomation, der Robotik und bei allen Infrastrukturen, die von Wechsel- auf Gleichstrom umgestellt werden und «Leistungshalbleiter» benötigen. Politiker appellieren da gern auch an deutsche Hersteller wie Infineon, Carl Zeiss SMT oder Siltronic/Wacker, mehr zu investieren. Aber für entsprechende Fabriken sind nicht selten Milliardenbeträge nötig. Bosch eröffnete gerade ein neues Werk in Dresden - die größte Einzelinvestition der Firmengeschichte. Die Branche glaubt, dass Förderprogramme entscheidend helfen können.

Und die Rohstoffe?

Viele strategisch wichtige Ressourcen unterliegen hohen Lieferrisiken. Für Silizium gilt das eigentlich nicht - es ist etwa in Sand enthalten und ein sehr häufiges Element. Aber die Veredelung zu Reinstsilizium, das für Chipteile in Frage kommt, kann schwanken. So ließ China seine Kapazitäten laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe künstlich unterausgelastet - wohl um «exzessive Lagerhaltung» zu betreiben. Immerhin: Der für Bauzwecke knapp werdende Sand und Kies konkurriert nicht mit dem Chip-Material.

© dpa-infocom, dpa:210702-99-229437/3