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Wertvolle Nahrungsmittel
Kabinett beschließt Pläne für weniger Lebensmittelabfälle

Lebensmittel im Müll
Lebensmittel liegen in einer Bio-Mülltonne. Foto: Arno Burgi/dpa-Zentralbild
Im reichen Deutschland landen tonnenweise Nahrungsmittel im Abfall - dabei wäre vieles noch zu genießen. Die Politik will die Vergeudung mit einem großen Programm eindämmen. Kritikern ist das viel zu vage.

Berlin (dpa) - Das massenhafte Wegwerfen wertvoller Lebensmittel in Deutschland soll deutlich verringert werden - bei Verbrauchern und Wirtschaft, aber ohne Verbote für Supermärkte.

Das Kabinett beschloss dafür eine Strategie von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner, die mehr Informationen, Forschungsförderung und eine Reihe von Maßnahmen auf freiwilliger Basis vorsieht. Die CDU-Politikerin sprach von einer «vereinten Kraftanstrengung», um Lebensmittelabfälle im Einzelhandel und bei privaten Haushalten bis 2030 zu halbieren. Umweltschützer und Opposition monierten mangelnde Verbindlichkeit.

«Wir alle sind gefragt», sagte Klöckner. «In Deutschland werfen wir jedes Jahr elf Millionen Tonnen Lebensmittel weg.» Allein in den Privathaushalten seien es 55 Kilogramm pro Kopf im Jahr. In jedem Produkt steckten jedoch Ressourcen: «Wasser, Energie, Rohstoffe, aber auch Arbeitskraft, Sorgfalt - und Herzblut.» Auch angesichts von mehr als 800 Millionen hungernden Menschen auf der Welt bestehe Anlass zum Handeln. Die «Nationale Strategie» soll dafür Fortschritte bringen.

DIE LEBENSMITTELKETTE: Verbesserungen werden in der ganzen Kette von der Ernte bis zum Teller angestrebt. Dafür sind fünf «Dialogforen» mit Vertretern von Unternehmen, Verbänden, Ländern und Wissenschaft vorgesehen, die Maßnahmen erarbeiten sollen. Definiert werden sollen Zielmarken, die der jeweilige Bereich - auf freiwilliger Basis - umsetzen soll: Bauern, Verarbeiter, Groß- und Einzelhandel, die Außer-Haus-Verpflegung der Gastronomie sowie private Haushalte.

DIE LÖSUNGSANSÄTZE: Um Verluste zu vermeiden, sollen unter anderem Prozesse in der Wirtschaft verbessert werden. Also etwa passendere Bestellmengen, kleinere und häufigere Warenlieferungen, ein Verteilen von Produkten zwischen Filialen, besondere Preisaktionen. Vor allem junge Familien und Jugendliche sollen mit Informationen über das Internet sensibilisiert werden. Bund und Länder sollen prüfen, ob es Hürden fürs Weitergeben unverkaufter Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen gibt, etwa bei der Haftung. Teil der Strategie ist auch eine Forschungsförderung von 14 Millionen Euro. Dabei geht es etwa um «intelligente» Packungen, die die Verzehrbarkeit anzeigen.

DIE PROBLEME: Unnötige Verluste können an diversen Stellen entstehen. Bei Transport und Lagerung, durch beschädigte Packungen, Störungen bei der Kühlung, zu große Portionen oder zu üppig befüllte Buffets in Restaurants. Auch Verbraucher kaufen schon mal zu viel ein, ohne an die Haltbarkeit zu denken. Nicht nur Sonderangebote gibt es oft in relativ großen Portionsgrößen, auch beim Kochen kann etwas schief gehen und landet dann im Müll. Nicht alle Restaurants bieten zudem von sich aus Möglichkeiten an, Tellerreste für zu Hause einzupacken.

DIE DATENBASIS: Genaue Zahlen für die jeweiligen Bereiche sind nur schwer zu ermitteln - dies soll nun aber als Ausgangsbasis für die Reduzierungspläne versucht werden. Klar ist: Nur um die Verbraucher geht es nicht. Eine von 2012 stammende Studie für das Ministerium rechnete hoch, dass etwa ein Viertel der jährlich konsumierten Lebensmittel ohne Getränke auf dem Müll landet: rund elf Millionen Tonnen. Davon entfallen 61 Prozent auf Privathaushalte, je 17 Prozent auf Industrie und Großverbraucher wie die Gastronomie sowie fünf Prozent auf den Handel. Auch in der Landwirtschaft gibt es Verluste.

DIE ABFÄLLE BEI VERBRAUCHERN: In einer tieferen Analyse legte eine Studie von 2017 für private Haushalte eine etwas geringere Menge von 4,4 Millionen Tonnen zugrunde. Unnötig in der Tonne landen demnach relativ viel frisches Obst und Gemüse, Brot und gekochte Speisen. Um ungeöffnete Packungen geht es eigentlich selten, aber deutlich öfter, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum der Wegwerfgrund ist. Lebensmittel kommen meist in den Restmüll oder Biotonnen. Besonders bei Familien mit Kindern gibt es laut der Analyse im Grunde vermeidbare Abfälle.

DIE REAKTIONEN: Handel und Lebensmittelbranche begrüßten die Pläne grundsätzlich. Auch Umweltschützer sprachen von Schritten in die richtige Richtung, forderten aber mehr Verbindlichkeit. Verantwortung dürfe nicht auf Hilfsorganisationen ausgelagert werden, warnte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Linke-Verbraucherpolitikerin Amira Mohamed Ali sagte: «Wir brauchen gesetzliche Vorgaben und nicht nur neue Diskussionsrunden.» Größeren Supermärkte wie in Frankreich ein Wegwerfverbot plus Abgabepflicht für unverkaufte Lebensmittel verordnen will Klöckner aber nicht - in Deutschland gingen auch ohne Gesetz schon mehr Lebensmittel an Tafeln als im Nachbarland.

Was machen andere Länder gegen Nahrungsabfälle?

In FRANKREICH gilt seit 2016 ein Gesetz, das Verschwendung besonders im Handel eindämmen soll. Supermärkte mit einer Fläche von mehr als 400 Quadratmetern sind demnach verpflichtet, eine Partnerschaft mit einer Hilfsorganisation abzuschließen, die unverkaufte Lebensmittel abnimmt.

Auch in TSCHECHIEN sind Supermärkte verpflichtet, unverkaufte Lebensmittel an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden. Im vorigen Jahr wurden rund 4200 Tonnen Lebensmittel kostenlos an Bedürftige verteilt. Unter dem Motto «Rettet das Essen» gibt es zudem eine von der Regierung geförderte Informationskampagne. Bei regelmäßigen Veranstaltungen auf Plätzen und in Parks werden Reste-Gerichte gekocht.

In RUMÄNIEN gibt es seit 2016 eine «Lebensmittelbank» - eine private Initiative, die von Supermärkten Lebensmittel sammelt, die kurz vor dem Verfallsdatum stehen, oder saisonbedingt nicht mehr verkauft werden wie Schoko-Weihnachtsmänner oder Osterhasen. Die Produkte gehen an karitative Vereine, die sie an Bedürftige verteilen. Bisher gibt es drei Sammelstellen für Lebensmittel: in Bukarest, Cluj (Siebenbürgen) und Roman (Provinz Moldau).