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Lebenslang nach Autorennen
«Menschenleben? Egal!» - Richter halten Raser für Mörder

Urteil gegen Kudamm-Raser
Marvin N. (l.) und Hamdi H. warten auf ihr Urteil - und das lautete erneut auf lebenslange Haft wegen Mordes. Foto: Paul Zinken
Unfallort
Zerfetzt: Fahrzeugteile liegen nach dem illegalen Autorennen in der Berliner Tauentzienstraße. Foto: Britta Pedersen
Trümmer
Nach dem illegalen Autorennen: Fahrzeugteile auf der Berliner Tauentzienstraße. Foto: Britta Pedersen
Tauentzienstraße
Die gesperrte Tauentzienstraße in Berlin nach dem illegalen Autorennen. Foto: Britta Pedersen
Der gerammte Jeep fliegt meterweit durch die Luft, der Rentner am Steuer stirbt. Er ist Opfer eines illegalen Autorennens, für das zwei Männer ins Gefängnis sollen. Doch mit dem erneuten Urteil ist der Fall noch nicht beendet.

Berlin (dpa) - Erneut haben Richter zwei Raser in Berlin wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Einer der Männer reagierte mit Kopfschütteln und sarkastischem Lachen, der andere mit aufgesetzter Gelassenheit.

Die beiden Unfallfahrer vom Berliner Ku'damm schienen es am Dienstag kaum fassen zu können, dass sie nun schon zum zweiten Mal als Mörder verurteilt wurden und dauerhaft hinter Gitter sollen. Seit drei Jahren sitzen sie bereits in Untersuchungshaft.

Ihr illegales Autorennen mit einem unbeteiligten Toten wird wohl erneut ein Fall für den Bundesgerichtshof (BGH). Gleich nach der Urteilsverkündung legte einer der Verteidiger Revision ein. Wie damals, als das Landgericht - deutschlandweit erstmals in einem Raser-Fall - auf gemeinschaftlichen Mord entschied. Das Urteil hob der BGH im März 2018 auf und ordnete einen neuen Prozess vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts an.

Vor mehr als drei Jahren waren die heute 30 und 27 Jahre alten Männer dröhnend und mit Vollgas in der City über elf rote Ampeln mit ihren hochmotorisierten Autos gerast - mit bis zu 170 Kilometern pro Stunde. An einer Kreuzung rammte das Fahrzeug des Älteren einen Jeep, der bei Grün losfuhr. Der Wagen des 69-Jährigen wurde durch die Luft geschleudert, der Arzt im Ruhestand starb. Das Trümmerfeld habe wie nach einem Terroranschlag ausgesehen, heißt es im Urteil.

War es Fahrlässigkeit oder Mord - darum ging es. Der Vorsitzende Richter Matthias Schertz begründete das Urteil mit klaren Worten. Die Raser handelten demnach mit bedingtem Tötungsvorsatz. «Die Gefährlichkeit war kaum noch zu toppen.» Die Angeklagten hätten gewusst, was sie taten. «Mit Fahrlässigkeit hatte das nichts mehr zu tun», sagte der Richter am Dienstag.

Es sei Zufall gewesen, dass es nicht mehr Tote gegeben habe, meinte Schertz. Die Raserei auf dem Ku'damm, nicht auf einer einsamen Dorfstraße, das sei der Kick gewesen. «Egal - nur kein Gesichtsverlust. Menschenleben? Egal», sagte der Richter.

Anders als im ersten Urteil ging die jetzige Strafkammer nicht von einem, sondern drei Mordmerkmalen aus. Die schweren Autos seien zu gemeingefährlichen Mitteln geworden, zu unbeherrschbaren Projektilen. Der Rentner sei arg- und wehrlos gewesen, die Tat somit heimtückisch gewesen. Zudem würden niedrige Beweggründe vorliegen - «es ging ihnen um die kurzfristige Befriedigung des Raser-Egos.»

Immer wieder schüttelte der 30-Jährige im roten Shirt den Kopf, lachte lautlos und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Der Jüngere war starr auf seinen Kaugummi im Mund konzentriert.

Anders als die Strafkammer, die im Februar 2017 zum ersten Mordurteil kam, gingen die Richter nun von einem bedingten Tötungsvorsatz aus, der sich in Etappen entwickelte habe - von einem Stechen zu einem Rennen. 90 Meter vor der Kreuzung habe der 27-Jährige erkannt, dass er noch hätte stoppen können. Kurzzeitig habe er den Fuß vom Gas genommen und sei dann doch weitergerast. «Sie wollten das Rennen um jeden Preis gewinnen» - selbstverliebt und rücksichtslos.

Eine Ex-Freundin des 30-Jährigen hatte im Prozess gesagt: «Der Audi war sein liebstes Stück.» Eine frühere Freundin des Jüngeren schilderte diesen als angeberisch. «Er ist ein Protzer.»

Der Sohn des Opfers, Maximilian Warshitsky, zeigte sich zufrieden. Das Urteil sei vollkommen richtig. Er hatte den Prozess als Nebenkläger verfolgt. Doch keine Strafe der Welt könne die Trauer um seinen Vater aufwiegen.

In seinem Prozess-Schlusswort hatte der ältere Angeklagte eingeräumt, er würde «gern ungeschehen machen, was geschehen ist». Auch der Jüngere hatte betont, er wolle sich aufrichtig entschuldigen.

Seit Oktober 2017 können Teilnehmer an illegalen Autorennen härter bestraft werden. Der Paragraf 315d im Strafgesetzbuch wurde nach dem spektakulären Unfall eingeführt. Wird durch ein «verbotenes Kraftfahrzeugrennen» der Tod eines anderen Menschen verursacht, können seither bis zu zehn Jahre Haft verhängt werden.

Laut Statistik ermittelte die Polizei in Berlin seit Beginn der neuen Regelung bis Ende 2018 wegen 298 illegaler Autorennen. Laut Justizverwaltung kommt statistisch gesehen jeden Tag in Berlin mehr als ein neues Strafverfahren wegen Raserei hinzu.

Harte Strafen halten die Autoraser-Szene nicht von ihren gefährlichen Aktionen ab, sagte der Veranstalter legaler Autorennen, Nico Klassen, der «Berliner Zeitung» (Dienstag). Selbst wenn für Raser die Todesstrafe eingeführt werden würde, würde sich nichts ändern. Die Fahrer meinten, sie seien perfekt und ihnen könne nichts geschehen.

Der BGH hatte erst Anfang März in einem anders gelagerten Fall bestätigt, dass ein rücksichtsloser Raser als Mörder verurteilt werden kann. Der Mann hatte 2017 in Hamburg mit einem gestohlenen Taxi einen Menschen getötet und zwei schwer verletzt.