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Analyse
Merkel und Scholz ganz nah: Eine gar nicht normale Debatte

Bundestag
Gelöste Stimmung: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz präsentieren sich in der Generaldebatte als eingespieltes Paar. Foto: Michael Kappeler/dpa
Es scheint wie immer: Opposition und Regierung gehen zum Haushalt der Kanzlerin auf Konfrontationskurs. Doch etwas ist anders - die Koalition zeigt sich bewusst, dass es für sie ums Ganze geht.

Berlin (dpa) - Es kann wie ein Vermächtnis verstanden werden, was Angela Merkel in der Generalaussprache über ihren Haushalt knapp 40 Minuten lang im Bundestag ausbreitet.

Die Hälfte der Zeit spricht die Kanzlerin über die Außenpolitik, 70 Jahre Nato, die Krisen dieser Welt. Sie nennt den Klimawandel, eine Spaltung der Gesellschaft und die Transformation der Autoindustrie als größte Herausforderungen der Zukunft. Wie das Aufgabenbuch für eine künftige Regierung klingt das.

Ganz zum Schluss setzt Merkel den Kontrapunkt: Es gebe noch viel zu tun für die GroKo, sagt sie in Richtung der Abgeordneten von Union und SPD. «Deshalb finde ich, wir sollten die Legislaturperiode lang weiterarbeiten, meine persönliche Meinung. Ich bin dabei». Passend zu dem Bekenntnis hat sich Merkel heute die Garderobe ausgesucht: Im knallroten Blazer mit schwarzer Hose ist sie ins hohe Haus gekommen.

Doch Merkel weiß genau: Ob sie wie erhofft bis zum planmäßigen Ende der Regierungszeit 2021 weiterregieren und selbst die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 mitbestimmen kann, liegt schon lange nicht mehr in ihrer Hand. Nicht unmöglich, dass die SPD in der bis Freitag laufenden Stichwahl über ihr künftiges Vorsitzenden-Duo mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken jenes Paar wählen, das mit einem jähen Ende ihrer Regierung liebäugelt. Und nicht ausgeschlossen, dass beim SPD-Parteitag kommende Woche das Aus für Schwarz-Rot beschlossen wird.

Vizekanzler Olaf Scholz wirkt allerdings überhaupt nicht so, als würde er um seinen Platz auf der Regierungsbank bangen. Dabei wäre er schwer beschädigt, sollte sich die SPD bei der Stichwahl gegen ihn und seine Teampartnerin Klara Geywitz entscheiden. Scholz ist als erster da an diesem Morgen, plaudert eine ganze Weile mit Martin Schulz, dem Ex-Kanzlerkandidaten und seinem jetzigen Unterstützer.

Als Merkel eintrifft, haben sich die Reihen längst gefüllt. Als erstes begrüßt sie Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, ihre Wunschnachfolgerin. Merkel wirkt gelöst, als sie die Hände ihrer Ministerinnen und Minister schüttelt, Seehofer, Altmaier, Klöckner, Spahn. Ganz zum Schluss begrüßt sie ihren Vizekanzler und Finanzminister. Es ist ein sehr freundliches Bild.

Merkel und Scholz präsentieren sich als eingespieltes Paar. Als AfD-Fraktionschef Alexander Gauland den «ökopopulistischen Atomausstieg» als Irrweg geißelt, Merkel vorhält, dass mit ihr ausgerechnet eine Physikerin die Stromversorgung im Land gefährde und ruft, die Merkel-Jahre würden als eine bleierne Zeit in Erinnerung bleiben, zeigt Scholz der Kanzlerin etwas auf dem Tablet-Computer vor sich. Beide amüsieren sich köstlich. Nur als Merkel sich mittelfristig für niedrigere Unternehmenssteuern ausspricht, dreht sich Scholz mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl hin und her.

In ihrer Rede konzentriert sich die Kanzlerin gut 20 Minuten lang auf die Außenpolitik - jene, die ihr vorwerfen, sie sei in der Innenpolitik nicht präsent, seit sie den CDU-Vorsitz vor einem Jahr abgegeben hat, dürften sich da bestätigt sehen.

Bei Kramp-Karrenbauer bedankt sich die Kanzlerin ausdrücklich, dass diese die gemeinsamen Rüstungsprojekte mit Frankreich vorantreiben wolle. Aber es kann auch als kritisches Signal in Richtung Verteidigungsministerin verstanden werden, als Merkel mahnt, bei den internationalen Krisen gehörten politische Lösungsansätze immer dazu - «militärische Lösungen allein werden nie reichen». War Kramp-Karrenbauer doch jüngst vor allem damit aufgefallen, dass sie eine größere militärische Verantwortung Deutschlands gefordert hat.

Im Stakkato zählt die Kanzlerin die Erfolge ihrer Koalition auf - Soliabbau, Rentenplus, Migration gesteuert, Integration verbessert, Rekordhaushalt, zum siebten Mal ohne neue Schulden. Und das, was die SPD durchgesetzt hat - wie die Grundrente und den Azubi-Mindestlohn. Merkel keilt auch gegen die Grünen, die die «Schwarze Null» für mehr Investitionen in Frage stellen: Man könne doch Investitionen nicht erst gut finden, wenn sie Schulden verursachten.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich gibt sich alle Mühe, vor den entscheidenden Tagen für seine Partei noch einmal die Rolle der SPD in der Regierung zu betonen. Egal ob Mindestlohn oder Mindestausbildungsvergütung - Mützenich gibt sich hoffnungsvoll: «Die Menschen wissen draußen, wer es auf den Weg gebracht hat, und das sind die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.» Und die Grundrente komme nun als Rechtsanspruch. «Darauf sind wir stolz.»

Gleichzeitig geht Mützenich auf maximale Distanz zur Sicherheitspolitik à la Kramp-Karrenbauer. Wenn diese im indo-pazifischen Raum Ländern wie Australien oder Japan zur Seite stehen wolle, sei dies «Hybris». Man kann es auch als Signal an die GroKo-Kritiker in den eigenen Reihen verstehen, wenn Mützenich Unterschiede zur Union betont: «Wir wollen Diplomatie - und nicht neue Debatten über Rüstungswettläufe mitbefördern.»

Es dürfte letztlich auch im Sinne der Kanzlerin sein, dass der SPD-Fraktionschef auch die Differenzen mit der Union herausstreicht. Zuviel Harmonie zwischen SPD und CDU/CSU wäre Wasser auf die Mühlen der Kritiker in den Reihen der Sozialdemokraten.

Merkel und Kramp-Karrenbauer verschwinden irgendwann für eine halbe Stunde gemeinsam aus dem Plenum. Ob sie Pläne schmieden - für die GroKo oder die Zeit danach? Was auch immer die beiden mächtigen Frauen der CDU besprochen haben, für alle sichtbar ist bei ihrer Rückkehr jedenfalls: Beide sind bester Laune.

Die Opposition sieht Schwarz-Rot längst vor allem mit sich selbst beschäftigt. FDP-Chef Christian Lindner wirft Merkel vor, die Wirtschaft zu gefährden: «Wer die Wirtschaft links liegen lässt, darf sich über Probleme von rechts irgendwann nicht wundern.» Linksfraktionschef Dietmar Bartsch meint, nur die Angst vor den Wählern schweiße die Regierungspartner noch zusammen.

Da passt es, dass sein Grünen-Kollege Anton Hofreiter sagt, die nächste Dekade müsse einen Neubeginn der politischen Arbeit bringen. Aufbruch, Modernisierung und Veränderung sind seine Schlüsselworte. Er schließt mit einer Art Angebot: Die Grünen wollten «auf alle zugehen, die bereit sind für Veränderung». Nach vorne eben.

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