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Fragen und Antworten
Mietenrevolution in Berlin: Staat packt Deckel drauf

Protest in Berlin
Protest gegen Mietensteigerung in Berlin. Foto: Ralf Hirschberger/dpa
In Berlin sollen Mieten zeitweise vom Staat gedeckelt werden. Damit betritt die Hauptstadt politisch und rechtlich Neuland. Wie soll das funktionieren?

Berlin (dpa) - Revolution auf dem Wohnungsmarkt oder verfassungswidriger Irrweg? Am Dienstag hat der rot-rot-grüne Senat einen Gesetzentwurf für einen bundesweit bisher einmaligen Mietendeckel beschlossen. Auf Vermieter wie Mieter kommt einiges zu.

Was heißt Mietendeckel?

Berlin will die Mieten für 1,5 Millionen nicht preisgebundene Wohnungen für fünf Jahre auf dem Stand vom 18. Juni 2019 einfrieren. Damals hatte der Senat erste Eckpunkte des Vorhabens beschlossen. Die sich seit Jahren drehende Spirale, bei Neuvermietungen grundsätzlich höhere Mieten aufzurufen und im Bestand regelmäßig draufzusatteln, soll so gestoppt werden. Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) spricht von einer Atempause für Mieter. Das Gesetz soll Anfang 2020 in Kraft treten und gilt für alle Wohnungen, die vor 2014 gebaut wurden.

Bestimmt der Staat auch Obergrenzen für Mieten?

Teil des Gesetzentwurfes ist eine Tabelle mit solchen Obergrenzen je nach Baujahr und Ausstattung der Wohnung. Der Höchstwert liegt bei 9,80 Euro kalt je Quadratmeter. Grundlage ist der Mietenspiegel 2013 - in jenem Jahr galt der Wohnungsmarkt in Berlin noch als gesund. Auch der allgemeinen Preisentwicklung seither wurde Rechnung getragen. In zwei Fällen dürfen Vermieter die Obergrenzen überschreiten: Sind Wohnungen besonders hochwertig ausgestattet, können sie einen Euro je Quadratmeter draufschlagen. Auch im Falle von Modernisierungen für mehr Klimaschutz und Barrierefreiheit soll ein Aufschlag von maximal einem Euro erlaubt sein.

Wie machen sich die Obergrenzen konkret bemerkbar?

Sie dürfen bei Neuvermietungen nicht überschritten werden. Eine Wohnung darf also beim Einzug eines neuen Mieters nicht teurer als für den Vormieter sein und dürfte - wenn der alte Mietpreis über der Obergrenze lag - in vielen Fällen sogar billiger werden.

Können Bestandsmieter ihre Miete senken?

Das soll bei «Wuchermieten» möglich sein, die mehr als 20 Prozent über den Obergrenzen liegen. Mieter sollen dann beim Senat eine Absenkung auf diesen Wert beantragen können. Kompliziert wird es, weil noch Zu- oder Abschläge auf Basis der Lage möglich sein sollen. Das braucht Zeit zur Vorbereitung und bis zu 250 neue Beschäftigte in der Verwaltung. Daher soll die Senkungsregelung erst neun Monate nach dem Mietendeckel in Kraft treten, also voraussichtlich Ende 2020. Wohnungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) schätzt, dass am Ende etwa 75 000 Haushalte auf diesem Weg Mietsenkungen durchsetzen - aber weit mehr Anträge eingehen, die es zu prüfen gilt.

Was sagt die Wohnungswirtschaft zum Mietendeckel?

Sie läuft ebenso wie CDU, FDP und AfD Sturm gegen die Pläne. «Die Berliner Landesregierung kehrt zurück zur sozialistischen Wohnungspolitik», schimpft der Präsident des Immobilienverbandes IVD, Jürgen Michael Schick. Investitionen etwa in Modernisierungen und der dringend nötige Wohnungsbau würden lahmgelegt. Der größte Berliner Vermieter Deutsche Wohnen bezeichnete die Idee eines Mietspiegels vor geraumer Zeit als «Frontalangriff». Der Konzern büßte im Zuge der Mietendebatte zeitweise ein Drittel seines Aktienwertes ein.

Wie reagiert Rot-Rot-Grün in Berlin auf die Kritik?

Die Berliner Koalition setzt dem neben anderen Punkten das Konstrukt eines «atmenden Mietendeckels» entgegen. Vermieter sollen ab 2022 jährlich 1,3 Prozent als Inflationsausgleich auf die Miete draufschlagen können, wenn die Obergrenzen nicht überschritten werden. Außerdem soll es Fördermittel geben. Im übrigen seien solche Regulierungen Teil der sozialen Marktwirtschaft und nicht Sozialismus, sagt Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).

Wieso überhaupt ein Mietendeckel?

In Berlin sind die Angebotsmieten zuletzt schneller gestiegen als anderswo. Sie haben sich bis 2018 laut Bundesbauministerium innerhalb von zehn Jahren auf durchschnittlich 11,09 Euro je Quadratmeter kalt verdoppelt. Und der Trend hält an: Für 2019 kommt das Portal Immowelt auf 11,60 Euro. Selbst Normalverdiener tun sich schwer, in manchen Stadtteilen noch eine Wohnung zu finden, die in ihr Budget passt. Jedoch ist das Mietniveau in Berlin immer noch niedriger als in anderen Großstädten wie München, Frankfurt/Main oder Hamburg. Laut Mietspiegel, in den auch Bestandsverträge einfließen, zahlen Berliner 6,72 Euro je Quadratmeter Durchschnittsmiete.

Woher rührt der starke Anstieg der Mieten?

Angesichts niedriger Zinsen und der Attraktivität Berlins hat sich die Hauptstadt zu einer Spielweise für internationale Investoren und Rentenfonds entwickelt. In Erwartung hoher Gewinnmargen haben sie sich hier wie auch in anderen Metropolen zu «Mondpreisen» eingekauft, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einmal kritisierte. Nun wollen sie das bei der Miete wieder reinholen. Gleichzeitig wird Wohnraum knapp, weil der Neubau der Nachfrage hinterherhinkt. Ein Grund: Hohe Grundstückspreise und immer komplexere Auflagen machen Bauen teurer. Folge: Es entsteht zu wenig preisgünstiger Wohnraum.

Wie ist die Berliner Strategie dagegen?

Sie lautet «Bauen, Kaufen, Deckeln». Der Senat setzt also auf einen Dreiklang aus forciertem Neubau, dem Rückkauf einst privatisierter Wohnungsbestände und dem Mietendeckel. Eine Bürgerinitiative hat noch eine andere Idee und zur Enteignung großer Immobilienkonzerne ein Volksbegehren angestrengt. Linke und Grüne finden das gut. Der Regierende Bürgermeister Müller lehnt ein solches Vorgehen strikt ab.

Ist der Mietendeckel rechtlich überhaupt umsetzbar?

Darüber gehen die Meinungen in Politik und diversen Rechtsgutachten auseinander. Als sicher gilt, dass der Eingriff in die Eigentumsrechte Klagen nach sich zieht und Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht beschäftigen wird. Die Frage ist zudem, ob das Land überhaupt Mieten regulieren darf. Der Senat sagt «ja», da seit der Föderalismusreform 2006 zwar der Bund für Mietenpolitik, die Länder indes für Wohnungswesen zuständig sind. Inwieweit ein jahrelanges juristisches Tauziehen Mietern hilft, bleibt abzuwarten. Kassieren Gerichte den Mietendeckel, könnten sie sich womöglich mit Mietnachforderungen konfrontiert sehen.

Senatsbeschluss Mietendeckel vom 22.10.19

Mietpreis-Analyse Immowelt

Eckpunkte zum Mietendeckel vom 18.6.

Referentenentwurf der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen vom 30.8.