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Corona-Pandemie
Neue Corona-Variante in Europa aufgetaucht

Hochsicherheitslabor
Eine Frau im Schutzanzug in einem Hochsicherheitslabor im «National Institute for Communicable Diseases» in Johannesburg. Foto: Christoph Soeder/dpa/Archiv
Aus Südafrika werden Fälle einer neuen Corona-Variante gemeldet, die wegen ungewöhnlich vieler Mutationen für Beunruhigung sorgt. Mehrere EU-Staaten ergreifen Vorsichtsmaßnahmen.

Corona. Berlin (dpa) - Aus Sorge vor einer neuen Coronavirus-Variante schränken Deutschland und andere Staaten den Flugverkehr aus Südafrika ein. Deutschland werde Südafrika zum Virusvariantengebiet erklären, kündigte der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitagmorgen mit.

Die Regelung trete in der Nacht zum Samstag in Kraft. Gegebenenfalls seien auch Nachbarländer Südafrikas betroffen. Fluggesellschaften dürften dann nur noch deutsche Staatsbürger nach Deutschland befördern. «Das letzte, was uns jetzt noch fehlt, ist eine eingeschleppte neue Variante, die noch mehr Probleme macht», sagte Spahn.

Mutation bereits in Europa entdeckt

Experten befürchten, dass die vielen Mutationen der zunächst im südlichen Afrika nachgewiesenen Variante B.1.1.529 dazu führen, dass sich der Erreger schneller ausbreitet oder die Impfstoffe ihre Schutzwirkung verlieren. Am Freitag wurde ein erster Fall in Belgien gemeldet. In Deutschland ist die Variante nach Angaben des Robert Koch-Instituts vom Freitagvormittag noch nicht festgestellt worden.

Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, sagte: «Wir sind sehr besorgt. Und ich hoffe sehr, dass stringent dahingehend gearbeitet wird, dass zumindest die Ausbreitung dieser Variante so gut wie möglich durch Reisebeschränkungen eingeschränkt wird.»

Spahn betonte, die Auswirkungen der Variante auf Krankheitsschwere, Infektiosität und Impfschutz seien noch nicht abschließend geklärt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation wird sich erst in einigen Wochen herausstellen, ob die Variante ansteckender oder aggressiver ist als bisherige Varianten. Die im südlichen Afrika aufgetretene Version des Virus sei bislang weniger als 100 Mal genetisch sequenziert worden. Die EU-Gesundheitsbehörde ECDC wollte noch am Freitag eine Einschätzung zu der Variante abgeben.

Ein WHO-Expertengremium sollte am Freitagnachmittag über die Einstufung der neuen Corona-Variante B.1.1.529 beraten. Es gehe dabei unter anderem um die Frage, ob die Mutante als «besorgniserregende Variante» («variant of concern») oder als «Variante unter Beobachtung» («variant of interest») klassifiziert werden soll, hieß es von der UN-Behörde.

Das südafrikanische Institut für Ansteckende Krankheiten NICD hatte am Donnerstag mitgeteilt, es seien in Südafrika 22 Fälle der neuen Variante B.1.1.529 nachgewiesen worden. Mit mehr Fällen sei im Zuge der laufenden Genomanalysen zu rechnen.

Wegen der Ausbreitung der Variante des Coronavirus will die EU-Kommission Reisen aus dem südlichen Afrika in die EU auf ein absolutes Minimum beschränken. Die Brüsseler Behörde werde den EU-Staaten vorschlagen, die dafür vorgesehene Notbremse auszulösen um den Luftverkehr auszusetzen, teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter mit. Die EU-Staaten müssen darüber jetzt noch beraten und entscheiden. Rechtlich bindend wäre die Notbremse nicht, doch es wäre eine wichtige Richtungsentscheidung. Mehrere EU-Länder verhängten bereits Reisebeschränkungen, so etwa Italien, die Niederlande und Tschechien. Dänemark führt ab Mitternacht Reisebeschränkungen für Südafrika und die sechs südafrikanischen Nachbarländer ein. Die WHO äußerte allerdings zum jetzigen Zeitpunkt Vorbehalte gegen Reisebeschränkungen.

Anpassung der Impfstoffe erforderlich?

Der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech schaut sich die im südlichen Afrika festgestellte neue Variante des Coronavirus in Tests an und rechnet spätestens in zwei Wochen mit Erkenntnissen. «Wir können die Besorgnis von Experten nachvollziehen und haben unverzüglich Untersuchungen zur Variante B.1.1.529 eingeleitet», teilte das Unternehmen in Mainz am Freitag auf Anfrage mit. Die Daten aus nun laufenden Labortests würden Aufschluss geben, ob eine Anpassung des Impfstoffs erforderlich werde, wenn sich diese Variante international verbreite.

Angesichts der dramatischen Corona-Lage in Deutschland forderte Spahn eindringlich massive Kontaktreduzierungen. «Die Lage ist dramatisch ernst. So ernst wie noch zu keinem Zeitpunkt in dieser Pandemie», sagte der CDU-Politiker am Freitag in Berlin. Man sei in einer «nationalen Notlage». Doch zu wenig passiere, und oft zu spät. «Wir müsse jetzt diese Welle stoppen», mahnte Spahn.

«Wir brauchen eine massive Reduktion der Kontakte - jetzt sofort», sagte RKI-Präsident Wieler. Derzeit würden die noch freien Intensivbetten in den Kliniken dadurch erkauft, dass planbare Operationen verschoben oder ausgesetzt werden. «Wenn die Infektionen nicht endlich massiv gebremst werden, dann wird natürlich die Versorgung in ganz Deutschland eingeschränkt sein.»

Die Luftwaffe der Bundeswehr beteiligt sich nun an der Verlegung von Intensivpatienten in der Corona-Pandemie. Ein Airbus A310 MedEvac startete nach Bundeswehr-Angaben am Freitag kurz nach 13.00 Uhr Richtung Memmingen in Bayern. Von dort sollte er Schwerkranke nach Nordrhein-Westfalen bringen. Die Bundeswehr hilft damit erstmals dabei, Krankenhäuser in Regionen mit besonders vielen Corona-Patienten zu entlasten. Im Rahmen des sogenannten Kleeblatt-Systems sollen Covid-19-Patienten auch bundesweit verteilt werden können, wenn in einzelnen Regionen der Kollaps von Krankenhäusern droht.

Die Zahl der binnen eines Tages ans RKI übermittelten Corona-Neuinfektionen erreichte wieder einen Höchststand. Die Gesundheitsämter meldeten nach RKI-Angaben von Freitagmorgen 76.414 Fälle in 24 Stunden. Vor genau einer Woche waren es 52.970 erfasste Neuinfektionen gewesen. Die Sieben-Tage-Inzidenz gab das RKI mit 438,2 an - ebenfalls ein Höchstwert.

© dpa-infocom, dpa:211126-99-147798/25