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Eine Reform und ihr Preis
Neuregelung zu Infos über Abtreibungen

Paragraf 219a
Der Paragraf 219a wurde von Kritikern als «nicht zeitgemäß» betitelt. Foto: Silas Stein
Einen Arzt für einen Abtreibung zu finden, ist in Deutschland nicht leicht. Künftig soll es Listen und Informationen im Internet geben. Doch auch eine geplane, hoch umstrittene Studie - deren Ergebnis längst vorhersehbar scheint.

Berlin/Freiburg (dpa) - Die Koalition spricht von einem «schmerzlichen Kompromiss», die Opposition wird richtig sauer, wenn es darum geht, wie sich Schwangere künftig über Abtreibungen informieren können. Viele Ärzte und Frauen dagegen sind einfach enttäuscht.

Trotzdem hat der Bundestag die umstrittene Reform von Paragraf 219a des Strafgesetzbuches beschlossen: Ärzte und Kliniken dürfen künftig im Internet angeben, dass sie Abtreibungen durchführen. Weitere Infos dürfen sie aber nicht geben, sondern nur auf offizielle Stellen verweisen. Dann ist da noch diese geplante Studie, die vielen Frauen die Zornesröte ins Gesicht treibt.

Cornelia Möhring von der Linksfraktion ist eine dieser Frauen. Hinter dem Kompromiss von Union und SPD stehe ein skandalöses Frauenbild, empört sie sich: «Die Regierung scheint zu denken, dass Frauen blöd und manipulierbar seien.» Im Bundestag sagt sie am Donnerstag: «Im Kern geht es um die Kontrolle über Frauen.» Schwangerschaftsabbrüche blieben in der Schmuddelecke, würden tabuisiert, medizinische Fachinformation mit Gefängnis bestraft.

«Schon jetzt finden Frauen in Not kaum einen Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche vornimmt», kritisiert die FDP-Abgeordnete Nicole Bauer. Das werde sich mit der Neuregelung kaum ändern, stattdessen würden Frauen stigmatisiert. Auch die Grüne-Abgeordnete Katja Keul spricht von «unnötiger Kriminalisierung von Ärzten», die sie einschüchtere und von Abtreibungen abhalte.

Als «Sahnehäubchen obendrauf», sagen Linke, FDP und Grüne, finanziere die Regierung dann auch noch eine unnötige Studie des CDU-geführten Gesundheitsministeriums zu den gesundheitlichen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen für Frauen. Das offenbare eigentlich nur das «fragwürdige Frauenbild» von Gesundheitsminister Jens Spahn, meint Bauer.

Diese Untersuchung stößt auch in der Fachwelt auf große Skepsis: «Es gibt eine alte Tradition, eine Drohkulisse aufzubauen für Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen lassen», sagt Cornelia Helfferich, die das Sozialwissenschaftliche Forschungsinstituts zu Geschlechterfragen an der Evangelischen Hochschule Freiburg leitet. «Wenn die Studie in diesem Kontext steht, dann haben wir ein Problem.»

Der Argwohn rührt zum einen daher, dass die Studie quasi im Gegenzug zum 219a-Kompromiss zustande kam. Die SPD wollte den Paragrafen am liebsten ganz abschaffen, setzte gegen die Union dann zumindest die Änderung durch. Es wird auch eine monatlich aktualisierte Liste aller Ärzte und Kliniken geben, an die sich ungewollt Schwangere wenden können. Etappensieg für die SPD - trotz heftiger Kritik daran, dass Ärzte weiterhin beispielsweise nicht angeben dürfen, mit welche Methode sie abtreiben. Dafür bekommt Spahn fünf Millionen Euro für seine Studie, die von 2020 bis 2023 die «Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen» untersucht. Ergebnisoffen, wie das Ministerium betont.

Kritik daran gibt es auch aus wissenschaftlicher Sicht. Denn Dutzende Studien haben die psychischen Folgen von Abtreibungen in den vergangenen Jahren schon untersucht. «Es lässt sich nicht beweisen, dass eine Abtreibung einen klaren negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Frauen hat», sagt Claudia Schumann, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG). Helfferich sagt: «Die große Mehrheit der Frauen bewältigt einen Abbruch ohne Langzeitfolgen.» Sie hat 2012 bis 2018 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 14.000 Frauen unter anderem zu Abbrüchen befragt.

Ein US-Team von der University of California verglich über fünf Jahre knapp 1000 Frauen - ein Teil ließ die Schwangerschaft abbrechen, den übrigen wurde ein Abbruch verweigert, weil die Frist überschritten war. Die seelische Gesundheit der Frauen, deren Schwangerschaft beendet wurde, war mindestens so gut wie die der übrigen Teilnehmerinnen, wie das Team 2017 im Fachblatt «JAMA Psychiatry» berichtete. Eine dänische Studie kam vor einem Jahr - trotz anderer Methodik - zu einem ähnlichen Resultat. Ebenso eine Arbeitsgruppe des US-Psychologenverbands APA im Jahr 2008.

Rund 101.000 Schwangerschaften wurden laut Statistischem Bundesamt 2017 in Deutschland abgebrochen. «Wir wissen, dass eine Abtreibung an sich keine negativen psychischen Folgen hat», betont Anette Kersting von der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Es sei zwar bekannt, dass Frauen, die eine Abtreibung wünschen, häufiger emotionale Probleme, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Stress in der Partnerschaft oder traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend haben. «Viele dieser Frauen können eine Abtreibung weniger gut bewältigen», sagt Kersting. Das liege aber nicht am Abbruch an sich, sondern an der psychischen Konstellation und am Umfeld - etwa an Stigmatisierung und fehlender sozialer Unterstützung.

Grundsätzlich fordert Helfferich, Frauen die Fähigkeit zuzubilligen, die beste Entscheidung treffen zu können. «Bei der ganzen Diskussion fehlt mir der Blick darauf, dass Frauen ihre Entscheidung so oder so treffen und wissen, was sie tun», sagt sie. Der Arzt und SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach merkt an: «Wir wissen doch, dass sich Frauen diese Entscheidung sehr schwer machen.» Und kein Arzt nehme Abtreibungen vor, um daran Geld zu verdienen.

Stotland et al. in "JAMA Psychiatry" (2018)

Steinberg et al. in "JAMA Psychiatry" (2018)

Biggs et al. in "JAMA Psychiatry" (2017)

Studie im Auftrag des BZgA (2016)

Bericht der APA (2008)

Online-Petition "Hilfe statt Hass"

Gilchrist et al. in "BJP" (2018)

Statistisches Bundesamt zu Abtreibungen 1996-2017