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Finanzminister uneinig
Rettungspaket: EU quält sich mit der Antwort auf die Krise

Olaf Scholz
Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Foto: Fabian Sommer/dpa
EU-Nachtsitzungen sind nicht ungewöhnlich - aber auch kein Garant für einen Durchbruch. Die Hängepartie um ein milliardenschweres Rettungspaket gegen die Wirtschaftskrise ist noch nicht ausgestanden.

Brüssel (dpa) - Sechzehn Stunden Verhandlungen haben nicht gereicht und auch nicht die Aufrufe zu Einheit und Solidarität in der Krise: Ihr Rettungspaket für Arbeitnehmer, Unternehmen und klamme Staaten im Wert von 500 Milliarden Euro haben die EU-Finanzminister nicht über die Ziellinie gebracht.

Noch nicht, sagte der deutsche Ressortchef Olaf Scholz am Morgen nach durchwachter Nacht und bemühte Zuversicht, dass «wir noch vor Ostern die entsprechenden Erleuchtungen bekommen». Am Donnerstag geht es weiter.

Ein Durchbruch sei dann Pflicht, sagte auch Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire. «Unsere kollektive Verantwortung besteht jetzt darin, innerhalb von 24 Stunden eine Einigung zu erzielen. Ein Scheitern ist undenkbar», betonte Le Maire am Nachmittag vor der Presse in Paris. Die Eurogruppe müsse eine «ehrgeizige» wirtschaftliche Antwort auf die Coronavirus-Krise finden, sagte Le Maire.

Ökonomen sind sich einig, dass die Folgen des Stillstands in der Pandemie eine tiefe Rezession bedeuten. Die Regierungen steuern bereits mit Milliarden-Programmen gegen und auch auf EU-Ebene ist schon einiges beschlossen: Die Schulden- und Defizitregeln wurden ausgesetzt und Milliarden aus dem EU-Budget mobilisiert, die Europäische Zentralbank hat ein riesiges Anleihekaufprogramm gestartet.

Nun geht es um die nächste «Verteidigungslinie», um ein «Sicherheitsnetz», wie es Eurogruppen-Chef Mario Centeno nennt. Dafür müssten alle über sich hinaus wachsen, redete Centeno seinen Kollegen aus der Eurogruppe und den übrigen EU-Staaten vor Sitzungsbeginn am Dienstagnachmittag ins Gewissen. 16 Stunden später wusste der portugiesische Finanzminister: Auch in Zeiten großer Not und wortgewaltiger Appelle verstrickt man sich bisweilen im Klein-Klein.

Dabei hatte Centeno schon vor Tagen breite Unterstützung für ein Paket mit drei Elementen vermeldet: vorsorgliche Kreditlinien des Eurorettungsschirms ESM, der bis zu 240 Milliarden Euro an besonders betroffene Staaten ausschütten könnte; ein Garantiefonds, mit dem die Europäischen Investitionsbank EIB 200 Milliarden Euro an Krediten an den Mittelstand geben könnte; und das von der EU-Kommission vorgeschlagene Kurzarbeiter-Programm namens «Sure» im Wert von 100 Milliarden Euro, das in der Krise Jobs sichern soll.

Scholz hatte sich früh hinter diese drei «Instrumente der Solidarität» gestellt und auf Einigung gepocht. Man sei auch fast so weit gewesen, aber eben noch nicht ganz, sagte er nach der Nachtsitzung. Nach Angaben aus Verhandlungskreisen hakte es zuletzt an einem Punkt: an den Bedingungen zur Nutzung des Eurorettungsschirms ESM.

Der ESM wurde 2012 auf dem Höhepunkt der Euroschuldenkrise gegründet und bewahrte unter anderen Griechenland mit Milliardenkrediten vor der Staatspleite. Dabei waren die ESM-Kredite mit strikten Sparauflagen und Reformforderungen verknüpft. Heute geht es dagegen um andere Programme, sogenannte vorsorgliche Kreditlinien. Dafür soll nach Auffassung der meisten Eurostaaten nur verlangt werden, dass das Geld zum Kampf gegen die Pandemie genutzt wird und die Empfänger künftig fiskalpolitisch verantwortlich handeln.

Die Niederlande verlangten indes spezielle Auflagen, die auf das jeweilige Land zugeschnitten sind. Finanzminister Wopke Hoekstra sprach auf Twitter von «bestimmten wirtschaftlichen Bedingungen». Nach Angaben aus Verhandlungskreisen stand er in den Verhandlungen damit alleine da - und verhinderte nach dieser Lesart einen Deal am frühen Mittwochmorgen. «Den Haag hat sich leider nicht zu den notwendigen Kompromissen bei den Auflagen für die ESM-Hilfen durchringen können», sagte ein EU-Diplomat. Hoekstra machte sich dafür stark, die Frage den EU-Staats- und Regierungschefs zu überlassen, was seine Kollegen aber ebenfalls nicht wollten. Deshalb vertagte Centeno die Runde auf Donnerstag.

Allerdings ist auch ein zweiter Punkt nur aufgeschoben: der Grundsatzstreit über die gemeinsame Schuldenaufnahme über europäische Gemeinschaftsanleihen, genannt Corona-Bonds, Euro-Bonds oder auch Recovery Bonds. Hier prallten am Anfang der Sitzung die Bond-Befürworter Frankreich, Italien und Spanien und die Gegner Deutschland, die Niederlande und Österreich aufeinander.

Dafür wurde dann in klassischer EU-Manier eine Kompromissformel gefunden, die alles und nichts sagt und den Streit vertagt: Für die Wiederaufbauphase nach der akuten Pandemie will man «innovative Finanzinstrumente» in Erwägung ziehen und Details später klären. Eine sehr weite Definition, wird in deutschen Verhandlungskreisen betont. Teilnehmer berichteten, damit hätten am Ende wohl alle leben können. Doch endgültig abgestimmt wurde über die Formulierung nicht - weil man sich schon vorher im Streit über den ESM verhakte.

Eine ähnliche Formel dürfte man zwar früher oder später auch für die Bedingungen des ESM finden. Doch die Hängepartie gelten für die Europäische Union auch als ein politisches Alarmzeichen: Ist sie in der Krise handlungsfähig und geeint? Die Risse bleiben tief, vor allem zwischen dem wohlhabenderen Norden und den von der Pandemie schwer gezeichneten Südländern wie Italien.