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Über Direktmandate: Linke kommt mit dunkelblauem Auge davon

Linkspartei
Die Linken-Spitzenkandidaten Janine Wissler (l-r) und Dietmar Bartsch müssen zusammen mit der Co-Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow das schlechte Abschneiden der Linken aufarbeiten. Foto: Bernd Von Jutrczenka/dpa
Die Linke hat es gerade so noch einmal in den Bundestag geschafft - über drei Direktmandate. Nun stehen parteiintern Richtungsfragen an.

Berlin (dpa) - Nach ihrer krachenden Wahlniederlage hat die Linke mit einer Ursachenanalyse begonnen. Die Linke müsse sich «neu erfinden», sagte die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow am Montag in Berlin.

Sie sprach von einem «blauen Auge», mit dem die Partei davongekommen sei, und der letzten Chance, die Linke nach vorn zu entwickeln. Hennig-Wellsow und ihre Co-Vorsitzende Janine Wissler betonten zugleich, die Partei weiter führen zu wollen.

Die Linke war am Sonntag bei der Bundestagswahl von 9,2 auf 4,9 Prozent eingebrochen. Nur drei Abgeordneten ist es zu verdanken, dass sie nicht in die Bedeutungslosigkeit gestürzt ist: Gregor Gysi (Berlin), Gesine Lötzsch (Berlin) und Sören Pellmann (Leipzig) holten jeweils das Direktmandat in ihrem Wahlkreis und stellten damit sicher, dass die Linke trotz Nicht-Überspringens der Fünf-Prozent-Hürde wieder in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten sein kann - mit 39 Abgeordneten, das sind 30 weniger als zuvor.

Hintergrund ist die sogenannte Grundmandatsklausel: Holt eine Partei drei oder mehr Direktmandate, bekommt sie laut Bundeswahlgesetz auch Sitze nach ihrem Zweitstimmenergebnis, selbst wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringt. Die Linke hatte 1994 - damals noch als PDS - schon einmal davon profitiert.

Wahlkreissieger sind «Lebensversicherung»

«Ohne Frage haben uns die drei Direktmandate als Partei gerettet. Sie sind unsere Lebensversicherung», sagte Lötzsch der Deutschen Presse-Agentur. Auch Pellmann sprach auf Nachfrage von einer «Lebensversicherung». In Anbetracht der Gesamtlage sei dies aber nur ein schwacher Trost. «Jetzt ist es für die gesamte Partei höchste Zeit, rückhaltlos die richtigen Konsequenzen aus dieser desaströsen Wahlniederlage zu ziehen!»

Wissler und Hennig-Wellsow machten deutlich, dass sie dennoch im Amt bleiben wollen. Das Duo führt die Linke erst seit dem Frühjahr. Die Ursachen für das Ergebnis lägen tiefer, als dass dies durch Personalentscheidungen zu lösen sei, sagte Wissler. «Das Schlechteste was wir jetzt machen könnten, (wäre) uns in dieser Situation vom Acker zu machen und zu sagen, jetzt macht mal», sagte Hennig-Wellsow.

Vor der Wahl hatte sich die Parteispitze Chancen ausgerechnet, diesmal bei Gesprächen über die Bildung einer Bundesregierung dabei zu sein. Rechnerisch schien den Umfragen zufolge eine Regierung mit SPD und Grünen möglich. Die Union hatte laut vor einem «Linksrutsch» gewarnt. Nun bleibt die Linke weiter Zuschauer. Man nehme die Oppositionsrolle im Bundestag an und werde dort das soziale Gewissen sein, sagte Spitzenkandidat und Fraktionschef Dietmar Bartsch.

Die alte «Wagenknecht-Frage» kommt wieder hoch

Die Ursachen für das schlechte Abschneiden seiner Partei sieht er nicht in den letzten Monaten, sondern vor allem in den vergangenen Jahren. Die Partei sei nicht als geschlossene Formation aufgetreten, sondern habe ein Bild der Zerrissenheit abgegeben. Im Parteivorstand soll am kommenden Wochenende über das weitere Vorgehen und die Konsequenzen aus dem Absturz beraten werden.

Bei der Diskussion über den richtigen Kurs und wie man Wähler zurückgewinnen will, könnte auch die «Wagenknecht-Frage» wieder aufbrechen. Sahra Wagenknecht hatte im Frühjahr mit ihrem Buch «Die Selbstgerechten» die eigene Partei in Diskussionen gestürzt. In dem Bestseller wirft sie linken Parteien vor, mit Gender-, Klima- und Bio-Essen-Debatten ihre Kernwähler zu verprellen. Einige in der Linken strebten daraufhin Wagenknechts Parteiausschluss an.

Einen Vorgeschmack auf mögliche kommende Debatten in der Linken lieferten Klaus Ernst, Wirtschaftspolitiker in der Linksfraktion, und sein scheidender Fraktionskollege Niema Movassat am Montag: «Die Linke abgewatscht!», schrieb Ernst bei Twitter. «Eine linke Partei, die kaum noch bei den abhängig Beschäftigten verankert ist, aber jeder Bewegung hinterher läuft, grüner als die Grünen sein will, sich über offene Grenzen für alle und darüber stritt, Wagenknecht auszuschließen! Ein Warnschuss!» Movassat nannte das eine «absurde Analyse». Offene Grenzen hätten im Wahlkampf keine Rolle gespielt und Wagenknecht habe in alle Richtungen polarisiert. «Gibt genug, die uns wegen ihr nicht gewählt haben (und auch die, die uns wegen der Kritik an ihr nicht wählten).»

© dpa-infocom, dpa:210927-99-382785/3