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Kritik aus der Opposition
Vom Lockerer zum Lockdowner - Laschet in der Defensive

Laschet
Armin Laschet sitzt in einer Box aus Plexiglas im Plenum des Landtags. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Erst Öffnungen, jetzt Verbote - NRW-Ministerpräsident Laschet kämpft mit dem bisher größten Corona-Infektionsgeschehen in Deutschland. Sein Krisenmanagement steht unter besonderer Beobachtung. Denn Laschet hat große politische Ziele.

Düsseldorf (dpa) - Geplant hatte Armin Laschet einen Aufschlag für ein milliardenschweres Corona-Konjunkturprogramm - doch dann musste der NRW-Ministerpräsident sein Krisenmanagement nach dem Corona-Ausbruch in der Tönnies-Fleischfabrik im Kreis Gütersloh rechtfertigen.

Der «Lockerungsmeister», der sich immer wieder für vorsichtige Öffnungen statt weitgehender Einschränkungen stark gemacht hatte, geriet am Mittwoch im Landtag in Düsseldorf in die Defensive.

In einer Unterrichtung verteidigte Laschet, Anwärter auf den CDU-Bundesvorsitz und potenzieller Kanzlerkandidat, den als zu spät kritisierten Lockdown in den Kreisen Gütersloh und Warendorf. Auf Laschet sind bundesweit und auch im Ausland viele Blicke gerichtet. Denn der Corona-Ausbruch beim Fleischriesen Tönnies mit weit mehr als 1500 Infizierten führte zu einer beispiellosen Maßnahme: Erstmals wurde in Deutschland in gleich zwei Landkreisen das öffentliche Leben wieder weitgehend heruntergefahren - zunächst nur für eine Woche.

Betitelt war Laschets kleine Regierungserklärung zwar mit den Worten «Verantwortungsvolle Normalität gestalten» - doch normal ist in Gütersloh und Warendorf gar nichts mehr. Man mute den Menschen viel zu, sagte Laschet. Durch die breite Streuung der Wohnorte der Tönnies-Belegschaft berge der Ausbruch ein «enormes Pandemie-Risiko». Wie weit sich das Virus in der Bevölkerung ausgebreitet habe, könne noch niemand sagen.

Nicht die Rolle des Lockerers, sondern des Verbieters kommt in der Corona-Krise jetzt auf Laschet zu. NRW sei bundesweit «das erste Land», das aus Vorsicht eine Region «komplett zurückführt», sagte er. Sein politisches Prinzip sieht der Aachener in einem Dreiklang: zuhören, abwägen und dann Entscheidungen treffen. Dutzende Gespräche mit Gesundheitsbehörden und Bürgermeistern vor Ort bis hin zu Ministerpräsidenten-Kollegen wie Markus Söder (CSU) und Stephan Weil (SPD) in Niedersachsen hat Laschet in den vergangenen Tagen geführt. Im Landtag sagte er dann: «Es ist eine Abwägung erforderlich.» Ihn wundere es immer wieder, wie schnell manche bereit seien, Einschränkungen der Grundrechte vorzunehmen.

Oppositionsführer und SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty (SPD), warf Laschet hingegen Führungsschwäche vor: Rheda-Wiedenbrück, der Sitz der betroffenen Fleischfabrik, sei «heute der größte Virus-Hotspot in ganz Europa». Der Corona-Ausbruch sei schlimmer als in Heinsberg und Ischgl. Die Landesregierung habe zu lange damit gezögert, durch entschlossene Maßnahmen «zu verhindern, dass eine zweite Infektionswelle über Deutschland und Europa kippt». Kutschaty warf Laschet Alleingänge vor: «Weil Sie mit dem Kopf durch die Wand und als schillernder Sieger vom Platz gehen wollen.»

Dass der Landtag erstmals seit rund drei Monaten wieder in Vollbesetzung tagte, trug zur hitzigen Stimmung bei. Die Attacken der 199 Abgeordneten wurden allerdings durch eine Art «Corona-Visier» gedämpft. Jeder Abgeordnete saß hinter einem Kasten aus Acrylglas.

Laschet verwies wie immer auf die Erfolge in NRW im Kampf gegen das Virus. «Wir konnten, von lokalen Ausbruchsgeschehen wie Coesfeld und Gütersloh abgesehen, die landesweite Ausbreitung des Virus deutlich verlangsamen.» In vielen Kreisen würden die Krisenstäbe zurückgefahren. Dazu kämen milliardenschwere Wirtschaftshilfen.

«Sowohl den Lockdown durchzusetzen als auch die Folgen und Schäden der Pandemie im Blick zu haben, ist der Maßstab für die Landesregierung», sagte Laschet. «Wir müssen einen Weg finden, wie wir mit dem Virus leben, ohne dass wir das ganze Land auf Monate oder noch längere Zeit komplett herunterfahren.»

Die Grünen warfen Laschet daraufhin einen Schlingerkurs in der Corona-Krise vor. Zuerst «Zauderer» etwa beim Thema Maskenpflicht, dann der «Mahner» («Es geht um Leben und Tod»), dann «Mister Exit an der Spitze der Lockerungspropagandisten», spottete Grünen-Fraktionschefin Monika Düker. «Und nun wird der Lockerer wieder zum Lockdowner.»

Auch aus anderen Bundesländern kommt Gegenwind für Laschet. Sie befürchten, dass Urlauber aus Gütersloh infiziert sein könnten und das Virus nach Bayern oder an die Nord- und Ostsee bringen. In Bayern etwa sollen Beherbergungsbetriebe bald keine Menschen aus solchen Kreisen mehr aufnehmen dürfen, wo die Zahl der Corona-Neuinfektionen eine gewisse Marke überschreitet - es sei denn, sie haben einen aktuellen negativen Corona-Test in der Tasche. In Gütersloh standen am Mittwoch bereits Menschen, die zum Ferienbeginn in NRW am Wochenende nach Bayern fahren wollten, für Tests in den Schlangen.

«Eines geht nicht: dass man die Menschen aus dem Kreis Gütersloh öffentlich stigmatisiert», rief Laschet im Landtag. «Ich stelle mich vor die Menschen in Gütersloh.» Er habe mehrmals mit Söder telefoniert. Dieser habe versichert, Menschen aus Gütersloh seien willkommen, wenn sie auf das Coronavirus getestet worden seien. Das erwarte er auch von den norddeutschen Bundesländern.

Söder und Laschet vermeiden es zwar, sich gegenseitig zu kritisieren. Aber kleine Sticheleien zwischen den beiden mächtigen Ministerpräsidenten, die jeweils als Kanzlerkandidat gehandelt werden, gibt es doch. So sagte Söder, man habe sich schon ein «bisschen gewundert», warum die Menschen in den Corona-Hotspots nicht von Anfang an für eine Woche oder zehn Tage in Quarantäne mussten. Laschet stichelt aus dem Landtag zurück: Er erwarte von jedem Regierungschef, dass er beim Aufstehen darüber nachdenke, ob Grundrechtseingriffe noch nötig seien. Man dürfe nicht jeden Morgen überlegen: «Was könnte ich noch einschränken und verbieten?»

© dpa-infocom, dpa:200624-99-545653/4

Tagesordnung Plenum

Lockdown-Bestimmungen für die Kreise Gütersloh und Warendorf