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Landwirtschaft
Was macht die Ampel aus dem «Agrarfrieden»?

Ochsen
Zwei junge Wagyu Ochsen auf dem landwitschaftlichen Betrieb Holtmann auf einer Weide. Foto: Guido Kirchner/dpa
Bei Lebensmitteln setzen Verbraucherschützer auf Ehrgeiz der Koalitionäre in spe für einen Wandel. Es geht aber auch um die Zukunft der Bauern.

Berlin (dpa) - Wenn SPD, FDP und Grüne in ihren Verhandlungen für eine Ampel-Koalition vorankommen, ist auf einem lange umkämpften Feld ein Umbruch schon mal sicher.

Landwirtschaft und Ernährung gehen nach 16 Jahren in Folge mit Ministern und Ministerinnen der Union in der künftigen Bundesregierung in neue Hände. Doch was bringt das für die Bauern, die unter Kostendruck und diversen Erwartungen für mehr Tier- und Naturschutz stehen? Und was für Millionen Supermarktkunden etwa bei Preisen, Packungsaufdrucken und einer gesünderen Ernährung? Verbraucherschützer und Mediziner fordern ein deutliches Umsteuern.

«Unser Essen muss gesünder und nachhaltiger werden», sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, der Deutschen Presse-Agentur. «Die Landwirtschaft ist ein bedeutender Verursacher von Treibhausgasen, und ungesundes Essen verursacht jedes Jahr Milliardenkosten für das Gesundheitssystem.» Eine Ampel-Koalition sollte daher eine «echte Ernährungswende» einleiten. Konkret solle etwa die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse weiter reduziert werden. Nötig seien strengere Regeln für Lebensmittelmarketing an Kinder und eine ambitioniertere Strategie für weniger Zucker, Salz und Fett.

Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft gab den Verhandlern gerade mit auf den Weg, «die gesunde Wahl endlich zur einfachen Wahl» zu machen. Dafür solle unter anderem das Nährwert-Logo Nutri-Score EU-weit verbindlich werden. Die Farbkennzeichnung als Hilfe für den Kauf gesünderer Produkte können Anbieter in Deutschland bisher freiwillig nutzen. Schon vorab in Aussicht gestellt haben die Ampel-Parteien nur ein Verbrauchervorhaben: eine Haltungskennzeichnung für Fleisch.

Neben neuen Regeln geht es aber auch um praktische Veränderungen in der Kette von den Bauern über Verarbeiter bis zum Handel. Und da steht die Debatte bereits nicht mehr komplett bei Null. Denn nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen kam kurz vor der Bundestagswahl ziemlich überraschend eine Art Agrarfrieden zustande - in einer Kommission, die noch das Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingesetzt hatte. Ihr gehörten Vertreter von Ernährungsbranche und Bauern, Natur- und Verbraucherschützern, Handel und Wissenschaft an.

Die Beteiligten wollen an diesen breiten Konsens nun auch anknüpfen. In einer ungewöhnlichen Allianz trommelten Landwirtschafts- und Umweltverbände schon zu den Ampel-Sondierungen dafür, die geeinten Vorschläge der Kommission umzusetzen. Die sehen einen weitreichenden Umbau des Agrar- und Ernährungssystems als «gesamtgesellschaftliche Aufgabe» vor, verbunden mit Milliarden-Investitionen: etwa für mehr Ökolandbau, Verzicht auf Pflanzenschutzmittel, für bessere Ställe.

«Hinter die Ergebnisse wird keine Bundesregierung mehr zurückfallen können», hatte die noch amtierende Ministerin Julia Klöckner (CDU) prophezeit. Und sie bedeuteten im Kern: «Höhere Standards ja, aber die kosten mehr Geld. Und diese Mehrkosten können nicht allein die Landwirte tragen.» Der Härtetest dafür steht nun an. Modelle zur Finanzierung liegen auf dem Tisch, etwa eine Tierwohlabgabe oder eine Mehrwertsteuererhöhung für tierische Produkte. Denkbar wären nach Vorschlägen einer anderen Kommission 40 Cent mehr pro Kilo Fleisch.

SPD, FDP und Grüne kündigten vorerst allgemein an, Landwirte dabei zu unterstützen, «einen nachhaltigen, umwelt- und naturverträglichen Pfad einzuschlagen». Ziel sei aber zugleich, ihnen «ein langfristig auskömmliches Einkommen» zu sichern. Ein anderer Punkt ist etwa auch eine Beschränkung von Pflanzenschutzmitteln auf «das notwendige Maß».

Verbraucherschützer Müller betonte, eine Tierwohlkennzeichnung für Fleisch aus besserer Haltung und staatliche Fördermittel seien wichtig, reichten aber nicht aus. «Die Ampel muss sicherstellen, dass nur Tierhalter, die für messbar mehr Tierwohl sorgen, auch Förderung erhalten.» Möglich wäre dies etwa durch eine Koppelung der Zahlungen an ein betriebsgenaues Monitoring der Tiergesundheit.

Bauernpräsident Joachim Rukwied verlangte nach den rot-gelb-grünen Sondierungen: «Entscheidend ist, eine Balance zwischen Ökonomie und Ökologie herzustellen.» Einen Umbau der Tierhaltung forderten die Landwirte auch, die Finanzierung sei aber sicherzustellen. Denn die Veränderungen seien «gesamtgesellschaftliche Aufgaben» und könnten von den Höfen nicht allein getragen werden. Für mehr Umweltschutz müsse Kooperation Vorrang haben.

Klären müssen SPD, FDP und Grüne auch, wie es mit dem Ministerium weitergeht: Bleibt ein eigenes Ressort für die Branche, oder sortiert sich die neue Regierung mit Klimaschutz als Leitmotiv kräftiger um?

© dpa-infocom, dpa:211107-99-901539/3