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Analyse
Was wird Weber?

Abschlusskundgebung
Der CSU-Politiker Manfred Weber, Spitzenkandidat der EVP bei der Europawahl, während der gemeinsamen Abschlusskundgebung von EVP, CDU und CSU. Foto: Sven Hoppe Foto: dpanitf3
Seit Monaten kämpft CSU-Vize Weber um den EU-Kommissionschefposten. Aber hat der EVP-Spitzenkandidat überhaupt eine Chance auf das Amt? Auf jeden Fall hat er eine mächtige Frau an seiner Seite.

München (dpa) - Am persönlichen Einsatz hat es sicher nicht gelegen. Manfred Weber hat vor seinem «Wahlkampffinale dahoam» am Freitag in München mehr als 45.000 Kilometer in Europa zurückgelegt, Tausende Menschen getroffen, in vielen Interviews für sich geworben, und das meist gut gelaunt und enthusiastisch für Europa.

Aber hat es auch was genützt für Webers Ziel, Präsident der EU-Kommission zu werden? Nach Lage der Dinge sind Zweifel berechtigt. Und so wundert es nicht, dass sich die EVP`ler beim Wahlkampfabschluss zwar um Zuversicht bemühten, aber das letzte Quäntchen siegessicherer Optimismus fehlte dann doch - trotz gigantischer Videowand mitsamt Multimedia.

«Jetzt geht es um ein großes Ziel: Wir müsse das Vertrauen in unseren Ländern bekommen», sagt Weber am Ende seiner kurzen Rede. Seine Europäische Volkspartei (EVP) dürfte zwar wie erwartet nach dem Ende der Europawahl am Sonntag stärkste Fraktion im EU-Parlament sein. Und in dem Fall will Weber als Spitzenkandidat Anspruch auf den mächtigsten Brüsseler Posten erheben. Und trotzdem wird es extrem schwierig für den 46-Jährigen werden, das mächtige Amt als erster Deutscher seit mehr als 50 Jahren zu erobern. Warum? Willkommen auf der rasenden Fahrt des Brüsseler Personalkarussells.

1. DAS WAHLERGEBNIS WIRD KOMPLIZIERT

Der Rechtsruck lässt die Volksparteien schrumpfen - Konservative und Sozialdemokraten werden keine Mehrheit mehr im Parlament haben. Mit großen Verlusten und weniger als einem Viertel der 751 Mandate dürfte Weber als «Wahlsieger» gerupft aussehen. Die Sozialdemokraten mit ihrem Kandidaten Frans Timmermans hoffen, nur knapp hinter der EVP zu liegen und dann ein «progressives Bündnis» gegen Weber zu zimmern. Für eine solide Mehrheit bräuchte Weber aber neben Sozialdemokraten auch Liberale und Grüne. Sofern sich die Parteien zusammenraufen, wird jede nur an den eigenen Kandidaten denken. Schlecht für Weber.

Auch CSU-Chef Markus Söder ist sich dessen bewusst: «Progressive Mehrheiten sind linke Mehrheiten», sagt er zum Wahlkampfabschluss. «Wir wollen aber kein linkes Europa, wir wollen ein bürgerliches Europa.» Daher ende der Wahlkampf nicht nach der Schließung der Wahllokale. «Er geht dann erst richtig los. Wir kämpfen für dich, auch nach dem Sonntag», ruft Söder und setzt noch einen drauf: «Es ist patriotische Pflicht, am Sonntag für Bayern zu votieren.»

2. MACRON SAGT NEIN

Vor allem die Liberalen werden sich zieren, denn sie wollen ein Bündnis mit der Partei LREM des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der lehnt aber die Forderung der großen Parlamentsfraktionen ab, dass nur einer ihrer Spitzenkandidaten Kommissionschef werden soll. Macron will, dass die Staats- und Regierungschefs auswählen dürfen. EVP, Sozialdemokraten und Grüne wähnen sich noch am längeren Hebel: Am Ende muss das Parlament den Kommissionschef bestätigen.

EVP-Chef Joseph Daul fasst es so zusammen: «Das Parlament, das sind die Bürger Europas, die am Sonntag zur Wahl gehen.» Für sie müsse Weber so schnell wie möglich Kommissionschef werden. Und sollte das nicht reichen, vertraue die EVP auf die «kluge Führung» von Merkel. Wie auch immer es ausgeht. Es droht ein Machtkampf nach der Wahl bis hin zur Blockade. Eine Theorie in Brüssel ist, dass es am Ende einen - anderen - Kompromisskandidaten geben wird. Schlecht für Weber.

3. DIE WIDERSACHER WARTEN

In dieser Kulisse drängelt es sich bereits - es sind viele Namen im Umlauf. Eine Kostprobe: der französische Brexit-Unterhändler Michel Barnier. Die dänische Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die zum liberalen Spitzenteam gehört. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Und natürlich Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die trotz aller Dementis und ihrer erneut unüberhörbaren Unterstützung in München weiter in vielen Hinterköpfen spukt: «Ich werde mich mit allem, was ich kann, dafür einsetzen», verspricht sie in München. Weber sei «der richtige Mann für unsere Zeit: Wir brauchen Brückenbauer und nicht Spalter». Vielleicht haben am Ende aber doch die Brüsseler Diplomaten recht. Sie sagen, es könne auch jemand anderes werden. Trotzdem: Viele gehypte Konkurrenten sind kein Vorteil für Weber.

4. BLACKBOX PERSONALPAKET

Der Kommissionschefposten ist Teil eines komplexen Personalpakets. Gesucht werden auch Nachfolger für EU-Ratschef Donald Tusk, für die Außenbeauftragte Federica Mogherini, für Parlamentspräsident Antonio Tajani und für den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi. Um die EU zusammenzuhalten, müssen nicht nur Parteien, sondern auch Regionen berücksichtigt werden. Es sollen so viele Frauen wie Männer dabei sein. Das bedeutet: Würde Weber Kommissionschef, käme wohl kein anderer nordeuropäischer Mann zum Zuge. Rutte etwa könnte nach dieser Logik nicht Tusk-Nachfolger werden. Kandidaten aus dem Osten sind rar. Gehandelt wird der Kroate Andrej Plenković als Ratschef. Aber der gehört wie Weber zur EVP und ist eben auch ein Mann. Das spräche für Vestager als Kommissionschefin. Schlecht für Weber.

5. ES MUSS SCHNELL GEHEN

Eine in Brüssel gern ventilierte Theorie ist, dass Weber nur eine Chance hat, wenn er binnen Stunden nach der Wahl am Sonntag eine Mehrheit hinter sich scharen kann - bevor am Dienstagabend die Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel über das Personalpaket beraten. Zuvor suchen die Fraktionschefs im EU-Parlament am Dienstagvormittag eine gemeinsame Linie.

Natürlich weiß auch der Stratege Weber um die gebotene Eile und macht daraus eine moralische Wahlkampffrage: «Wenn es zum ersten Mal in der Geschichte Europas gelingt, dass ein frei gewählter Abgeordneter Kommissionspräsident wird, wie es im Bundestag normal ist (...), wenn das jetzt in Europa gelingen würde, wäre das ein starkes Symbol für ein demokratisches Europa in der Hand der Menschen.»

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