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Erneute Suche auf Campingplatz
Weiterer Tatverdächtiger im Missbrauchsfall Lügde

Neue Durchsuchung
Noch immer nicht zu Ende durchsucht: Kriminaltechniker auf dem Campingplatz in Lügde. Foto: Guido Kirchner
Durchsuchung
Ermittler in Schutzanzügen suchen nach Beweismitteln. Foto: Guido Kirchner
Ermittlungen
Ein weiterer Verdächtiger ist in den Fokus der Ermittler geraten. Foto: Guido Kirchner
Campingplatz in Lügde
Im Missbrauchsfall Lügde hat die Polizei eine weitere Parzelle auf dem Campingplatz durchsucht. Foto: Guido Kirchner
Die Polizei hat im Missbrauchsfall von Lügde einen weiteren Tatverdächtigen im Visier. Sie ermittelt gegen einen 57-Jährigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs. Er kommt aus dem gleichen Ort wie ein Angeklagter des Missbrauchsprozesses.

Lügde/Detmold (dpa) - Im Fall des massenhaften und jahrelangen Missbrauchs von Kindern in Lügde gibt es einen neuen Beschuldigten.

Gegen einen 57 Jahre alten Mann aus Steinheim bei Höxter sei ein Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs eingeleitet worden, teilten Polizei Bielefeld und Staatsanwaltschaft Detmold am Donnerstag mit. Er wurde nicht festgenommen und befindet sich auf freiem Fuß. Ein Haftbefehl sei nicht beantragt worden.

Am Mittwoch hatten Ermittler der Ermittlungskommission «Eichwald» die Parzelle des Mannes auf dem Campingplatz in Lügde an der Grenze von Nordrhein-Westfalen zu Niedersachsen durchsucht, um Beweismittel zu finden. Sie setzten ihre Durchsuchung am Donnerstag fort.

Zu sehen war, wie Gegenstände von dem Gelände getragen wurden. Um was es sich dabei handelte, wurde zunächst nicht bekannt. Die Durchsuchung sollte nach Angaben der Polizei Bielefeld noch am Donnerstag beendet werden. Auch die Wohnung des Mannes in Steinheim wurde durchsucht.

Die Polizei war dem Mann durch die Anhörung eines minderjährigen Kindes am Mittwoch auf die Spur gekommen. Dieses war nach Angaben von Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) zuvor noch nicht vernommen worden. «Bisher konnten noch nicht alle Kinder, die wir als Verdachtsfälle führen, angehört werden, weil sie sich noch in einem Stabilisierungsprozess befinden und medizinisch betreut werden.»

Das Kind habe eigentlich nur zu Verdachtsmomenten gegen die bereits bekannten Tatverdächtigen gehört werden sollen, sagte Reul in Düsseldorf. Dann aber habe sich der Verdacht des sexuellen Missbrauchs auch dieses Kindes ergeben, und zwar «innerhalb des eigenen sozialen Umfelds». Das Kind habe Hinweise auf den 57-Jährigen aus seinem «sozialen Nahbereich» gegeben. Unmittelbar darauf hätten Durchsuchungen der Parzelle und der Wohnung begonnen.

Nach Informationen von NDR, WDR und «Süddeutscher Zeitung» soll der neue Beschuldigte gut mit Mario S. befreundet gewesen sein, einem der beiden Angeklagten im Missbrauchsprozess. Demnach teilten sich die beiden Männer von 2010 bis 2015 fünf Jahre lang dieselbe Parzelle auf dem Campingplatz. Auch sollen beide unter der gleichen Adresse in Steinheim gemeldet sein. Die Polizei Bielefeld wollte sich zu dem Bericht nicht äußern.

Auch Reul konnte diese Informationen zunächst nicht bestätigen. Er wies jedoch darauf hin, dass der 57-Jährige im Verlauf der Ermittlungen wie andere Parzellenbesitzer auf dem Campingplatz auch schon einmal befragt worden sei. Damals hätten sich keine Hinweise ergeben, die eine Durchsuchung der Parzelle notwendig gemacht hätten.

Wie NDR, WDR und «Süddeutsche Zeitung» weiter berichteten, hatte es gegen den nun neu Beschuldigten bereits im Sommer 2018 eine Anzeige gegeben. Eine damals 15-Jährige soll ihn beschuldigt haben, sie nach einer Feier auf dem Campingplatz vergewaltigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Detmold hatte die Ermittlungen dem Bericht zufolge allerdings aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Der Strafprozess um den hundertfachen sexuellen Missbrauch von Kindern auf dem Campingplatz wurde am Donnerstag am Landgericht Detmold fortgesetzt. Dabei sollten weitere Opfer und Angehörige vernommen werden. Zum Auftakt in der vergangenen Woche hatten alle Angeklagten Geständnisse abgelegt.

In dem Prozess sind ein 56-Jähriger aus Lügde und der 34-jährige Mario S. aus Steinheim angeklagt. Sie sollen über viele Jahre hinweg Jungen und Mädchen teilweise schwer sexuell missbraucht haben. Die Männer sollen ihre Opfer auf dem Campingplatz an der Landesgrenze zu Niedersachsen auch wiederholt vergewaltigt haben. Einige der Gewalttaten filmten sie laut Staatsanwaltschaft. Die jüngsten Opfer sollen im Kindergartenalter gewesen sein.

Das Verfahren gegen einen dritten Angeklagten, einen 49-Jährigen aus dem niedersächsischen Stade, war am zweiten Verhandlungstag abgetrennt worden. Der Mann soll an Webcam-Übertragungen teilgenommen haben und teilweise zu den Gewalttaten angestiftet haben. Alle drei Männer sind Deutsche und sitzen in Untersuchungshaft.

Insgesamt gab es nach Angaben des NRW-Innenministeriums in dem Missbrauchsfall - Stand Mitte Mai - 42 Opfer sowie sieben Verdachtsfälle. Gegen mehrere weitere Beschuldigte wird ermittelt. Im gesamten Verfahrenskomplex Lügde, bei dem es auch um Behördenpannen geht, wird laut einem früheren Bericht Reuls gegen rund 20 Beschuldigte ermittelt, darunter zwei Polizeibeamte und acht Behördenmitarbeiter. In einem anderen Fall wird gegen einen Verwandten eines der Angeklagten wegen des Verdachts der Vernichtung von Beweismaterial ermittelt. Lügde befindet sich im Kreis Lippe in Nordrhein-Westfalen an der Landesgrenze zu Niedersachsen.

Reul betonte am Donnerstag im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags, dass die Ermittlungen in dem Fall «mit Nachdruck fortgeführt» würden. Die umfangreiche Auswertung der IT-Beweismittel dauere an.

Der Minister schloss nicht aus, dass noch mehr Verdächtige auftauchen könnten. Auch weitere, bisher noch nicht befragte Kinder würden angehört. Das Wichtigste sei zunächst aber gewesen, dass der Prozess habe starten können. Die Ermittlungskommission «Eichwald» - benannt nach dem Namen des Campingplatzes - wurde nach Angaben Reuls inzwischen von rund 80 auf 31 Beamte reduziert.