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Demonstranten spielen «Katz-und-Maus-Spiel» mit Polizei

Corona-Proteste in Mannheim
Eine Frau steht Polizisten gegenüber bei einem Protest gegen die Corona-Maßnahmen. Foto: René Priebe/PR-Video/dpa
Wieder kommt es bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen im Südwesten zu Gewalt: Ausschreitungen am Samstag in Reutlingen, sechs Verletzte Polizisten in Mannheim am Montag. Wie hart soll die Polizei vorgehen?
Berlin.

Berlin (dpa/lsw) - Die Szene der Gegner von Corona-Maßnahmen ist aus Sicht eines Soziologen stabiler geworden und jetzt auch dort vorhanden, wo sie früher nicht präsent war. «Die Szene hat sich radikalisiert und ist noch selbstbewusster und aggressiver geworden», sagte Dieter Rucht vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin. Dies habe damit zu tun, dass man das Gefühl habe, Objekt politischer Entscheidungen geworden zu sein. Mit der Stabilisierung der Protestbewegung gehe auch die veränderte Taktik auf der Straße einher. «Um situativ die Oberhand zu behalten, wird ein «Katz-und-Maus-Spiel» mit der Polizei gespielt», sagte Rucht.

Dabei müssten die Aktionen gar nicht im Detail geplant sein. «In Abhängigkeit der Stärke und dem konkreten Handeln der Polizei wird über die sozialen Netzwerke abgesprochen, was bei einem Treffen im Einzelnen zu tun ist. Man kann sich verstreuen, in Straßen verschwinden und nach Gelegenheiten suchen, den Protest fortzusetzen. So kann man Gewinner oder Überlegener der Situation sein», sagte Rucht.

In Mannheim waren am Montagabend aus Protest gegen die Corona-Politik und trotz eines Verbots bis zu 2000 Menschen durch die Stadt gezogen. Zahlreiche Demonstranten hatten sich am Wasserturm versammelt, ohne dass eine Anmeldung für eine solche Kundgebung vorlag. Als die Stadt die Veranstaltung untersagt und die Polizei Platzverweise ausgesprochen habe, sei der Platz auf einen Schlag von Menschen «geflutet» worden, sagte ein Polizeisprecher. Man gehe davon aus, dass es sich bei dem Protest um eine abgesprochene Aktion gehandelt habe. Die Teilnehmer hätten sich offenbar über die sozialen Medien vernetzt. Im Verlauf des Abends wurden sechs Polizisten verletzt.

Auch in Karlsruhe, Bruchsal, Ettlingen, Rheinstetten, Karlsdorf-Neuthard, Tübingen und Villingen-Schwenningen gab es am Montagabend mehrere teils nicht angemeldete Versammlungen und Zusammenkünfte gegen die Corona-Maßnahmen. Wie die Polizei mitteilte, wurden die Mindestabstände nicht eingehalten und in vielen Fällen fehlten Mund-Nasen-Bedeckungen.

Größere Probleme ergaben sich in Karlsruhe. Dort wurden aufgrund der Verstöße zahlreiche Platzverweise verhängt - ein Mensch kam in Gewahrsam. Trotz mehrfacher Nachfrage gab sich eine verantwortliche Versammlungsleiterin oder ein -leiter nicht zu erkennen. Beim Eintreffen der Polizei setzte sich die Menge in Richtung Marktplatz in Bewegung. Der Aufzug wurde dann durch eine Polizeikette angehalten. «Ein Teilnehmer stachelte die weiteren Besucher in der Folge energisch auf, die Anordnungen der Polizei zu missachten», teilte ein Polizeisprecher mit. Dann überwanden mehrere Menschen die Polizeikette.

Der Staat sollte aber nicht mit voller Härte gegen alle, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, vorgehen, sondern gegen Hardliner. Man sollte aus Sicht von Rucht nur solche Maßnahmen beschließen, die man auch effektiv kontrollieren kann. «Man muss den Menschen klar machen, dass man stichprobenartig eingreift und dabei sehr konsequent vorgeht.» Nur durch Härte und Entschiedenheit erreiche man das Gegenteil. «Man treibt dann alle Leute in eine Ecke. Diejenigen, die unsicher sind - und den harten Kern.» Die «Querdenker»-Bewegung sei in Baden-Württemberg sehr stark. «In Ostdeutschland gibt es einzelne Regionen, die stark von Rechtsradikalen dominiert werden. Dazu zählen Thüringen und Sachsen», sagte Rucht.

Der parlamentarische Geschäftsführer und Polizeisprecher der SPD-Landtagsfraktion, Sascha Binder, verurteilte die teils gewaltsamen Proteste in Mannheim und Reutlingen. «Wer sich nicht an Auflagen und Regeln hält, wer Gewalt anwendet und beleidigt, der kann sich nicht auf das Versammlungsrecht berufen», sagte Binder. Wer Gewalt dem Austausch von Argumenten vorziehe, der habe das demokratische Spielfeld verlassen und sich damit selbst ins Abseits geschossen. «Dann zieht der Rechtsstaat völlig zu Recht die rote Karte und damit alle Register, die ihm rechtlich zur Verfügung stehen.»

© dpa-infocom, dpa:211214-99-376961/6