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Flächendeckende Impfungen in Hausarztpraxen beginnen

Eine Ärztin impft eine Seniorin mit dem Impfstoff
Eine Ärztin impft eine Seniorin mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/dpa
Die Hausärzte sind bereit, viele Bürger mehr als willig - aber der Flaschenhals ist und bleibt die Impfstoffmenge. Gäbe es nicht viel zu wenig, könnten die Hausärzte flächendeckend so richtig loslegen. Das nämlich durften sie lange Zeit nicht - bis jetzt.
Stuttgart.

Karlsruhe (dpa/lsw) - Jetzt geht es richtig los! Eigentlich. Nach dem entsprechenden Bund-Länder-Beschluss beginnt auch im Südwesten in den Hausarztpraxen ab der zweiten Aprilwoche das flächendeckende Impfen. Bisher gab es nur ein Modellprojekt mit 40 teilnehmenden Praxen. Bis aus dem Anspruch «flächendeckend» auch Wirklichkeit wird, dürfte aber noch einige Zeit ins Land gehen.

Wie viel Impfstoff steht überhaupt für den Impfstart in Hausarztpraxen zur Verfügung?

Nicht viel, so lautet die wenig überraschende Antwort aus dem Sozialministerium. Aufgrund der weiterhin sehr geringen Liefermengen gebe es pro Woche gerade mal 20 Impfdosen pro Praxis; in den ersten beiden Aprilwochen zunächst den Wirkstoff von Biontech/Pfizer,

Insgesamt wird für den Südwesten nach früheren Angaben des Ministeriums unter Berufung auf vorläufige Lieferzahlen aus dem Bundesgesundheitsministerium im Laufe des April mit knapp zwei Millionen Dosen Impfstoff gerechnet. Bis Anfang Mai wären das mehr als 1,2 Millionen Dosen des Herstellers Biontech/Pfizer, knapp 304 000 Dosen des Herstellers Moderna und fast 400 000 Dosen des Herstellers Astrazeneca.

Wird die Hausarzt-Impfkampagne ausgebremst wegen der neuen Alterseinschränkungen bei Astrazeneca?

Nein, alles bleibt wie geplant, so ein Sprecher des Sozialministeriums. Ab Mitte April wird neben Biontech auch der Wirkstoff des britisch-schwedischen Herstellers an die Praxen ausgeliefert. Impfzentren bekommen dann nur noch für Zweitimpfungen vorgesehene Dosen

Wie sehen die Hausärzte das ganze Thema?

Die freuen sich sehr - fühlen sich aber schon ein wenig düpiert, weil sie als Impfexperten so lange außen vor blieben. «Impfen ist die originäre Aufgabe des Hausarztes», sagt Nicola Buhlinger-Göpfarth. Die Ärztin, die auch im Landesvorstand des Hausärzteverbandes ist, impft in ihrer Pforzheimer Gemeinschaftspraxis schon seit 9. März im Rahmen des Pilotprojektes. Es sei ein Fehler gewesen, die Praxen nicht von Anfang an in die Impfkampagne mit einzubeziehen, betont sie.

Dass die Praxen nun endlich impfen dürfen, findet sie sehr gut. «Die Patienten sind glücklich und zufrieden, dass sie wohnortnah und von einer vertrauten Person geimpft werden», sagt sie. «Ich freue mich wie ein Kind», sagt auch ein Hausarzt aus Karlsruhe. Dass es endlich losgehe, sei höchste Zeit - «ich weiß schließlich am besten, wer von meinen Patienten den Impfstoff am dringendsten braucht». So wie andere Hausärzte auch habe er längst eine Liste gemacht mit den Menschen, die er zuerst impfen will.

Wieviele könnten die Praxen denn impfen, wenn genug da wäre?

Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat sich mal schlau gemacht und eine Umfrage gestartet. Unter den rund 15 000 Praxen im Südwesten seien zwar viele Facharztpraxen, die nicht impfen werden. Einige tausend aber hätten sich auf die Umfrage sofort gemeldet und erklärt, dass sie mindestens 85 000 Dosen täglich an den Mann/die Frau bringen könnten - vorausgesetzt, es gebe genug Impfstoff.

Wie hoch ist der Aufwand für die Praxen?

Gute Organisation ist alles, sagt Buhlinger-Göpfahrt. Die Praxen seien es gewöhnt zu impfen. «Das machen wir mit links.» Bei den Hausärzten würden jedes Jahr Millionen an Impfungen vorgenommen, «und das geräuschlos, effizient und kostengünstig», sagt auch die KVBW.

Müssen auch die Hausärzte sich an die Priorisierung halten?

Ja - allerdings haben sie mehr Spielraum. Zu Beginn sollen nicht mobile Menschen in ihrem Zuhause geimpft werden sowie Patienten mit schweren Vorerkrankungen. Buhlinger-Göpfarth ist dafür, mit übrig gebliebenen Impfdosen auch andere Patienten außerhalb der eigentlich vorgesehenen Reihenfolge zu impfen.

Arbeiten parallel auch die Impfzentren weiter?

Ja. «Bis genug Impfstoff zur Verfügung steht, wird es sicherlich einige Zeit lang Zwischenschritte und ein Nebeneinander von Impfzentren und Impfungen in Arztpraxen geben», erklärt der Sprecher des Sozialministeriums. In den Zentren könnten in kurzer Zeit sehr viele Menschen geimpft werden. «Daher werden sie auch dann eine Rolle spielen, wenn im Verlauf des zweiten Quartals mit deutlich mehr Impfstoff zu rechnen sein wird.»

Wie hat sich das Pilotprojekt «Impfen in Praxen» bewährt?

Rund 40 Hausarztpraxen im Land beteiligten sich an dem am 9. März gestarteten und auf sechs Wochen angelegten Projekt. Es war eine Art Probelauf für das flächendeckende Impfen, das nun bevorsteht. «Die Abläufe konnten gut in die vorhandenen Praxisstrukturen implementiert werden», sagt ein Sprecher des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg. Die Praxen wüssten zudem selbst, was gut zu ihrer individuellen Praxisstruktur passt. Auch laut KVBW funktioniert das Impfen sehr gut.

Wo gibt es Verbesserungsbedarf?

«Entbürokratisierung. Impfstoffmenge!!!», sagt der Hausärzteverband. Das Sozialministerium verweist darauf, dass die Fragebögen, die für eine Evaluierung an die am Modellprojekt teilnehmenden Praxen ausgegeben wurden, noch nicht ausgewertet seien. «Ich bin mir sicher, dass Baden-Württemberg für die Impfungen in Hausarztpraxen gut vorbereitet ist. Jetzt brauchen wir vor allem mehr Impfstoff», sagte Sozialminister Manne Lucha (Grüne).

© dpa-infocom, dpa:210402-99-63773/3

Infos zum Pilotprojekt des Sozialministeriums "Impfen in Praxen"