1. Startseite
  2. Überregionales
  3. Stuttgart & Südwest
Logo

Pandemie
Kretschmann nennt Corona-Pläne des Bundes «grob fahrlässig»

Winfried Kretschmann
Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Christoph Schmidt
Die Corona-Infektionszahlen steigen wieder, kommt es gar zur «Sommerwelle»? Der weitere Weg im Umgang mit der Pandemie ist heftig umstritten. Der Landesregierung gehen die Ampelpläne nicht weit genug. Selbst die Südwest-SPD wünscht sich mehr Befugnisse.

Stuttgart. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat der Bundesregierung im weiteren Kampf gegen die Pandemie grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen. Der Grünen-Politiker kritisierte die Pläne der Ampelregierung zum Corona-Schutz für die nächsten Monate. Es geht um eine neue Rechtsgrundlage, mit der nach dem von Bund und Ländern angepeilten Ende der meisten einschneidenden Alltagsbeschränkungen zum 20. März weiterhin Krisenmaßnahmen regional oder auf Landesebene möglich sein sollen. Auch der Koalitionspartner CDU und die oppositionelle SPD fordern mehr Befugnisse. Nur die FDP ist anderer Meinung.

Aus Kretschmanns Sicht haben die Länder bald viel zu wenige Instrumente zur Hand. «Die Pandemielage ist sehr volatil, die Zahlen steigen derzeit wieder», sagte Kretschmann am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. «Deshalb halte ich es für grob fahrlässig, wenn die Bundesregierung ohne Not wirksame Instrumente für den Notfall aus der Hand gibt.»

Vor allem das Tragen von Masken bleibe als sehr effektives Mittel zentral, sagte Kretschmann - es werde aber nach dem Entwurf massiv beschnitten. «Das ist kein wirksamer Basiskatalog, sondern ein Rumpfgerüst. Dazu wird uns hier ein Hauruck-Verfahren aufgezwungen, dass die Länder außen vor lässt.» Wenn das Infektionsgeschehen wieder an Dynamik gewinne, dann sehe das neue Infektionsschutzgesetz ein «extrem kompliziertes Hotspotkonzept» vor. Den Ländern bleibe kaum Spielraum für schnelles, effektives Eingreifen. Die Reaktionsschnelligkeit sei aber der entscheidende Faktor für die erfolgreiche Kontrolle der Pandemie.

Nach einem am Mittwoch bekanntgewordenen Entwurf, auf den sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) verständigt haben, sollen über den Frühlingsbeginn hinaus weiter Masken- und Testpflichten als Basismaßnahmen greifen. In «Hotspots» mit kritischerer Lage sollen umfassendere Maßnahmen möglich sein. Bund und Länder hatten beschlossen, dass zum 20. März alle tiefgehenderen Alltagsbeschränkungen wegfallen sollen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zeigte sich zuletzt besorgt und sagte, man müsse mit einer «Sommerwelle» rechnen.

Auch die CDU-Fraktion kritisiert die Pläne der Ampel scharf. «Was der Bund hier vorgelegt hat, ist der Lage in keinster Weise angemessen», sagte Fraktionschef Manuel Hagel der dpa. «Die Zahlen steigen gerade wieder von einem hohen Niveau. Gleichzeitig erklärt die Ampel im Bund die Pandemie mit diesem Entwurf de facto für beendet.» Dass nicht einmal mehr der «minimalinvasive Basisschutz», das Tragen von Masken, in ausreichendem Maße ermöglicht werden soll, sei vollkommen unverständlich. Lauterbach nehme den Ländern die Instrumente aus der Hand, um angemessen auf eine mögliche nächste Welle reagieren zu können. Lauterbach könne sich in der Ampelkoalition nicht gegen die FDP durchsetzen. «Die Infektionsraten sind noch immer mit großem Tempo unterwegs, und die Ampelregierung gibt bei voller Fahrt das Steuer aus der Hand.»

Selbst der SPD im Land gehen die Pläne der Bundesregierung von SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz nicht weit genug, auch wenn die Kritik da geschmeidiger daherkommt. «Aus meiner Sicht müssen die Länder im Bereich der Masken und der Testpflicht weitergehende Möglichkeiten bekommen als im aktuellen Entwurf angedacht», sagte Fraktionschef Andreas Stoch. Kretschmanns Kritik sei aber zu unkonkret. «Wir haben bei Kretschmann das Gefühl, dass er grundsätzlich eine Pauschal-Kritik an den Entscheidungen der Ampel äußert, ohne konkret sagen zu können, was er eigentlich selbst anders machen würde», sagte Stoch. «Immer nur vom Instrumentenkasten zu sprechen, reicht nicht.»

Ganz anders klingen die Liberalen im Land, die neben SPD und Grünen im Bund gemeinsam regieren, in Baden-Württemberg aber in der Opposition sind. Es sei gut, dass der Bund Kretschmanns «Corona-Aktionismus» Grenzen setze, sagte Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Es sei bekannt, dass Kretschmann für sein Leben gerne Lockdowns und Ausgangssperren verhänge. Abgesehen von stets schlechten Infektionszahlen, dem Impfchaos seines Sozialministers Manne Lucha (Grüne) und erkennbar wirkungslosen Lockdowns und Ausgangssperren habe Kretschmann immer wieder vor Gerichten mit seiner Corona-Politik Schiffbruch erlitten. «Einen solchen Regierungsdilettanten muss Berlin einbremsen und ihm gerade nicht Werkzeuge an die Hand geben, um seine Irrläufe fortzusetzen», sagte Rülke.

© dpa-infocom, dpa:220309-99-451839/4