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Justiz
Landessozialgericht: Kein Anspruch auf virtuelle Verhandlung

Sollen Kläger vor Sozialgerichten gegen den Willen der Richter virtuelle Verfahren durchsetzen können? Der Präsident des Landessozialgerichts im Südwesten hat dazu eine dezidierte Meinung.

Stuttgart. Ob Prozessbeteiligte vor den Sozialgerichten erscheinen müssen oder nicht, soll nach Überzeugung des Landessozialgerichtes weiterhin von den jeweiligen Richtern entschieden werden. In der rechtspolitischen Debatte stellte sich der Präsident des Landessozialgerichts, Bernd Mutschler, am Montag auf die Seite der Befürworter eines Ermessensspielraums der Richter in dieser Frage. Damit entfalle ein möglicher Anspruch der Beteiligten auf eine virtuelle Verhandlung, wie ihn die Justizministerien in Erwägung zögen.

Während der Corona-Pandemie sei es zwar eine Erleichterung gewesen, Prozessbeteiligte virtuell zu Verhandlungen und Erörterungsterminen zuschalten zu können, erläuterte Mutschler in Stuttgart. Aber für die Richter sei es auch wichtig, sich einen persönlichen Eindruck der Prozessbeteiligten verschaffen zu können. Das gelte etwa, wenn es um Erwerbsminderungsrenten für Menschen mit Behinderungen gehe und die Richter sich über das Ausmaß ihrer Beeinträchtigungen informieren wollten. Mutschler sieht sich mit dieser Position auf einer Linie mit seinen Kollegen und Kolleginnen in der Sozialgerichtsbarkeit in den anderen Bundesländern.

Justizministerin Marion Gentges (CDU) erklärte, Videoverhandlungen hätten sich im gerichtlichen Alltag zunehmend etabliert und seien künftig unabhängig von einer pandemischen Lage bedeutender Teil der Verfahrensgestaltung. «Wir haben daher bereits im Herbst vergangenen Jahres auf der Justizministerkonferenz den Antrag eingebracht, dass die Gerichte verfahrensleitend Videoverhandlungen anordnen können.» Dem hätten alle Länder zugestimmt. Prozessbeteiligte sollten das Recht haben, sowohl eine Videoverhandlung beantragen als auch Widerspruch gegen eine angeordnete Videoverhandlung einlegen zu können. «Nun ist der Bund am Zug, die Rufe aus den Ländern aufzugreifen und die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.»

Die acht Sozialgerichte und das Landessozialgericht entscheiden Rechtsstreitigkeiten unter anderem in Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe.

Nach einem corona-bedingten Tiefpunkt der Zahl erledigter Fälle am Landessozialgericht im Jahr 2021 standen Ende des vergangenen Jahres 3264 Erledigungen 3052 Klagen und Berufungen gegenüber.

Auf die Sozialgerichte sieht Mutschler vor allem Fragen zu dem von der Koalition in Berlin geplanten Bürgergeld und dessen Auslegung zukommen. Verfahrensanstiege prognostizierte er auch infolge von Corona-Impfschäden und möglichen Reha- und Rentenansprüchen daraus. Überdies werden die Richter sich verstärkt mit der Anerkennung von Corona-Infektionen am Arbeitsplatz als Arbeitsunfall und Berufsunfähigkeit beschäftigen, wie Mutschler sagte. Trotz dieser Herausforderungen hält er die Sozialgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg mit 157 Richtern und Richterinnen für gut aufgestellt.

Landessozialgericht

© dpa-infocom, dpa:220801-99-234969/3