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Living Museum: Kunst von Menschen mit psychischen Problemen

"Living Museum Alb" in Münsingen
Zwei Klienten der Bruderhaus-Diakonie (r) arbeiten in einem Atelier mit einer Betreuerin an einer Karte. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
In anderen Ländern gibt es das Konzept schon länger. Erstmals in Deutschland können jetzt Menschen mit psychischen Problemen in einem «lebenden Museum» auf der Schwäbischen Alb ihr Innerstes nach Außen kehren - mit Kunst.
Münsingen.

Münsingen (dpa/lsw) - Die psychisch kranke Bewohnerin einer Einrichtung der Bruderhaus Diakonie in Münsingen auf der Schwäbischen Alb malt fortwährend Uhren. Was die Frau plagt, ist nicht genau bekannt. «Sie hat sich ganz viel mit Uhren und der Uhrzeit beschäftigt. Ihr selber und uns wurde erst durch ihre Bilder klar, was ihre Ängste und Sorgen sind», erzählt Markus Rank, Fachbereichsleiter Sozialpsychiatrie und Behindertenhilfe Alb der Bruderhaus Diakonie Region Reutlingen.

In Gesprächen mit der 50-Jährigen wird deutlich, dass sie sich immer genaue Uhrzeiten notiert von Dingen, die geschehen. Und bald versteht sie: Ihr Problem ist, dass sie nicht weiß, wann sie geboren ist. «Damit hat sie ganz viel verbunden», sagt Rank. Das Einwohnermeldeamt nennt die Uhrzeit, und bei der 50-Jährigen wird schließlich ein Identitätsproblem festgestellt. «Ohne das Medium Kunst wäre das nicht zu Tage gefördert worden. Seither ist die Klientin viel fröhlicher», erzählt Rank.

Im «Living Museum Alb» in Münsingen, das Kunst, Ausstellung und Ateliers unter einem Dach vereint, zeigen insgesamt 70 Menschen mit geistigen und psychischen Behinderungen was künstlerisch in ihnen steckt. Das Ziel dieser seit Donnerstag geöffneten Einrichtung in einem ehemaligen Pflegeheim ist es, dass sich psychisch Erkrankte auf Leinwand, Papier, in Gedichten oder als Musiker in einer Rockband öffnen und ausdrücken.

Nach Angaben der Bruderhaus Diakonie ist es das erste Museum dieser Art in Deutschland. «Hier arbeitet einen ganz gemischte Truppe im Alter zwischen 30 Jahren und über 70 Jahren», erzählt Rank. Nicht behinderte Künstler können sich ab sofort im Museum im Kreis Reutlingen einmieten oder nach individuellen Vereinbarungen mit den Behinderten arbeiten: «Sie unterhalten sich dann nicht über Diagnosen, sondern über Kunst.»

So wurde zum Beispiel mit der Band Neggles Jam eine Vereinbarung geschlossen. Die Gruppe spielt Pop, Rock, Ska, Reggae und Jazz - Stücke. Ein Bandmitglied schreibt laut Rank eine Bachelorarbeit zum Thema integrative Musikpädagogik. Dabei steht nicht die Therapie im Vordergrund. Aber auch. «Wir unterstützen die Menschen in ihrem Kunstschaffen. So entstehen heilende Prozesse.»

Wie bei Andrea Piontek. Die 57-Jährige lebt seit vier Jahren in Münsingen in einer Wohngruppe wegen Suchtproblemen. Die Räume des Hauses widmen sich den Bereichen Malerei, Zeichnen und dreidimensionales Gestalten, Theater und Performance, Musik und Lyrik. In den Ateliers sollen sowohl dauerhafte Angebote als auch ein wechselndes Kursprogramm stattfinden.

Das weltweit erste «Living Museum» gründeten 1983 der Psychologe und Künstler Janos Marton und der Künstler Bolek Greczynski in den USA. Die Philosophie eines weiteren «Living Museums» in Will/Schweiz ist es, einen Raum einzurichten, in dem psychisch Kranke zu Künstlern ausgebildet werden.

Inspiriert wurde die Einrichtung vom Heidelberger Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn (1886-1933). Er hatte als einer der Ersten das kreative Potenzial psychisch kranker Menschen entdeckt und es anhand verschiedener Ausstellungen dokumentiert. Die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg bewahrt einen großen Bestand an Werken, die Patienten und Patientinnen psychiatrischer Anstalten um die Wende zum 20. Jahrhundert schufen.

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