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Lucha und Spahn streiten über Schuld am Impfstoffmangel

Impfung
Eine Flüssigkeit tropft aus der Kanüle einer Spritze. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/Symbolbild
Seit Tagen zanken sich Baden-Württemberg und der Bund, wer für den Impfstoffmangel verantwortlich ist. Das helfe den Menschen nicht, betont Landesminister Lucha. Doch etwas muss er noch loswerden.
Berlin.

Stuttgart (dpa/lsw) - Während in Baden-Württemberg unzählige Menschen auf einen Termin für ihre Corona-Impfung warten, liefern sich die Gesundheitsminister von Bund und Land eine Fehde über die Verantwortung für den Impfstoffmangel. Es geht um angeblich nicht eingehaltene Absprachen zu Liefermengen und die Frage, ob Impfstoff ungenutzt bleibt. Obwohl der baden-württembergische Ressortchef Manne Lucha (Grüne) am Samstag selbst sagte, das helfe den Menschen nicht weiter, teilte er weiter gegen den Bund aus. Oppositionsführer Andreas Stoch von der SPD fand klare Worte: «Für alle, die seit Wochen auf einen Impftermin warten, ist das Schmierentheater zwischen Landesminister Lucha und Bundesminister Spahn unerträglich. Beide wären gut beraten, weniger zu schwätzen und einfach mal zu machen!»

Seit Wochen beklagt Lucha, der Bund solle mehr Impfstoff liefern. Das Land hob zwischenzeitlich die Priorisierung bei der Impf-Reihenfolge für Arztpraxen für alle Impfstoffe auf. Der Minister rechtfertigte das am Donnerstag in der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten» wie folgt: «Wir sind an der Front bei den Menschen und bekommen jeden Tag den Druck zu spüren. Wir konnten gar nicht anders, als so zu entscheiden. Jetzt kriegt der Bundesgesundheitsminister auch mal den Druck zu spüren, dass nicht genug Impfstoff da ist. Bisher waren wir in den Ländern die Abfangjäger.»

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) konterte nun in den Samstag-Ausgaben der Blätter, die Impfstoffe würden «so auf die Länder aufgeteilt, wie es der Bund den Ländern vereinbart hat». Zudem lägen seinem Haus Meldungen vor, wonach es im Südwesten Impfstoff gebe, «der bislang noch nicht den Weg zu Patientinnen und Patienten gefunden hat». Das wies Lucha zurück: «Selbstverständlich liegt in Baden-Württemberg kein Impfstoff rum, wie Jens Spahn andeutet.» Im Gegenteil verteile das Land den Stoff ganz gezielt an die Zentren, die ihn am dringendsten benötigen und nutze ihn auch verstärkt für den Einsatz mobiler Impfteams in sozial benachteiligten Quartieren.

Die Zahlengrundlage ist kompliziert, um zu beurteilen, wer Recht hat. Auf der Homepage impfdashboard.de veröffentlicht das Bundesministerium Daten zum Impffortschritt in den Bundesländern. Allerdings sind diese nicht auf demselben zeitlichen Stand. Demnach hat Baden-Württemberg bis zum 17. Mai 6.106.098 Impfdosen geliefert bekommen. Verabreicht wurden im Südwesten - Stand 22. Mai - insgesamt 5.851.511 Dosen. Das entspricht auch den Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) und wäre ein Anteil von fast 96 Prozent.

Gleichzeitig arbeitet das Bundesministerium mit einer Liste, die schon Lieferungen bis einschließlich Pfingstsonntag enthält. In dieser Übersicht, die der dpa vorliegt, sind aber sowohl die Zahl der nach Baden-Württemberg gelieferten Dosen als auch die der Impfungen im Land niedriger, weil hier nach Angaben eines Sprechers nur die Daten für Impfzentren berücksichtigt werden, nicht aber jene für die Arztpraxen. Die prozentuale Verimpfung liegt demnach bei 86 Prozent. Die Praxen würden direkt vom Bund über den Großhandel beliefert, erläuterte der Sprecher. Damit habe das Land nichts zu tun.

Lucha sagte der Mitteilung zufolge auch: «Wir brauchen jetzt kein Zuständigkeiten-Pingpong, sondern müssen den Menschen klare Perspektiven beim Thema Impfen geben.» Diese bräuchten keine Diskussionen um Verantwortlichkeiten. Wichtig sei ausreichend Impfstoff, um über den Sommer das Impfen in Impfzentren, Arztpraxen und über Betriebsärzte am Laufen zu halten und auch der großen Gruppe der Schüler ein Impfangebot machen zu können. «Wir garantieren, dass wir den Impfstoff sofort verteilen werden», versicherte Lucha.

Allerdings forderte er in derselben Mitteilung, klare Antworten vom Bund über die Impfstoffverteilung ab 7. Juni, wenn die Betriebsärzte flächendeckend in die Impfungen einsteigen sollen. «In dem Beschluss mit den GesundheitsministerInnen der Länder steht eindeutig, dass diese Mengen zusätzlich an die Länder verteilt werden», erklärte er. «Hinweise aus dem Bundesgesundheitsministerium geben leider Anlass zur Sorge, dass Herr Spahn diese zusätzlichen Impfstoffmengen nicht organisieren konnte, sondern dass sie von den ohnehin knappen wöchentlichen Lieferungen abgezwackt werden müssen.»

Der Sprecher des Bundesministeriums entgegnete: «Es ist seit längerem mit den Ländern vereinbart, dass die Impfstoffe für die Betriebsärzte vom Bund über den Großhandel und die Apotheken geliefert werden und die zugesagten Mengen der Länder dadurch nicht reduziert werden.»

SPD-Fraktions- und -Landeschef Stoch kritisierte beide. «Dass Jens Spahn bei der bundesweiten Impfkampagne keine gute Figur gemacht hat, ist mittlerweile jedem klar», erklärte er. «Doch Landesminister Lucha hat es in den vergangenen Monaten leider keinen Deut besser gemacht: Jüngst hat er die Impf-Priorisierung bei Hausärzten aufgehoben, um im gleichen Atemzug davon abzuraten, bei den Hausärzten anzurufen, um diese nicht zu überlasten. Das ist doch aberwitzig!»

Nach den RKI-Zahlen wurden in Baden-Württemberg - bis einschließlich Freitag - 4.332.021 Menschen einmal mit Vakzinen geimpft, bei denen eine zweite Dosis erforderlich ist. Das ist ein Anteil von 39,0 Prozent und liegt damit nur leicht unter dem Bundesschnitt von 39,7. Als vollständig geimpft gelten im Südwesten 1.519.490 Menschen. Die Quote von 13,7 Prozent ist hier fast auf dem deutschlandweiten Niveau von 13,6. Eingerechnet hierbei sind auch Impfungen mit dem Wirkstoff von Johnson & Johnson, bei dem eine einzige Dosis reicht.

© dpa-infocom, dpa:210522-99-701223/5

Bericht über Spahn-Aussagen

Impfstoffdashboard

Mitteilung des Landesministeriums

Zahlen des RKI