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Nach Chaos-Nacht: Politik und Polizei beraten über Folgen

Eine beschädigten Scheibe eines Einzelhandelsgeschäfts
Risse sind in einer beschädigten Scheibe eines Einzelhandelsgeschäfts zu sehen. Foto: Marijan Murat/dpa
Nach der für Stuttgart beispiellosen Gewalt am Wochenende bemühen sich Politik und Polizei um Aufklärung. Wie konnte es so weit kommen, dass Hunderte marodierende Menschen durch die Innenstadt ziehen?
Stuttgart.

Stuttgart (dpa) - In der Innenstadt von Stuttgart ist kaum noch etwas zu sehen von den Schäden, die in der chaotischen Nacht aus Randale und Plünderei entstanden sind. Gewaltige Spuren hat die Randale dennoch hinterlassen. Politisch werden Konsequenzen gefordert, im Stuttgarter Rathaus wird über die Folgen für den Handel und den Ruf der Stadt beraten und die Polizei bringt ein Alkoholverbot für Teile der City in die Debatte.

Stuttgarts Polizeivizepräsident Thomas Berger beziffert den Schaden durch die marodierenden Gruppen auf einen sechs- bis siebenstelligen Betrag. Unter anderem wurden in der Nacht zum Sonntag 40 Läden beschädigt und zum Teil geplündert, zudem zwölf Streifenwagen demoliert, sagte der Leiter des Polizeieinsatzes während der nächtlichen Randale in einem Interview mit dem Journalisten Gabor Steingart. 19 Polizisten seien infolge «total enthemmter Gewalt» verletzt worden, einer davon brach sich das Handgelenk, sagte Berger.

Auslöser für die Auseinandersetzungen sei die Drogenkontrolle bei einem 17-Jährigen gewesen, mit dem sich gleich mehrere Hundert Menschen solidarisierten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wollte sich am Montagmittag vor Ort ein Bild der Lage machen. Zuvor war ein Gespräch mit dem baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU) geplant.

An den Krawallen in der Nacht zum Sonntag waren nach Angaben der Polizei 400 bis 500 Menschen beteiligt. 24 Menschen wurden vorläufig festgenommen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilte die gewaltsamen Ausschreitungen scharf und stellte sich demonstrativ hinter Polizeibeamte. «Gewalt, Vandalismus, schiere Brutalität - wie am Wochenende in Stuttgart gesehen - müssen mit aller Härte des Rechtsstaats verfolgt und bestraft werden», sagte Steinmeier in Berlin. «Wer Polizistinnen und Polizisten angreift, wer sie verächtlich macht oder den Eindruck erweckt, sie gehörten «entsorgt», dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen.»

Nach wie vor ist unklar, wie sich die Gewalt in der Nacht zum Sonntag so sehr entladen konnte. Festzustehen scheint für die Polizei, dass die Randale nicht politisch motiviert war. Es seien vielmehr Menschen aus der sogenannten Party- und Event-Szene gewesen, die sich in den vergangenen Wochen immer wieder draußen getroffen und sich in den sozialen Medien mit ihrem Handeln inszeniert hätten.

Auch nach Einschätzung von Polizeivize Berger wollten sich die Täter in sozialen Medien in Pose setzen und skandierten unter anderem «Endlich ist in Stuttgart was los». Zudem hätten die Corona-Einschränkungen dazu geführt, dass junge Menschen sich zunehmend im öffentlichen Raum träfen. Diese Gruppe reagiere auf normale polizeiliche Ansprache sehr aggressiv.

Nach Ansicht der Polizeigewerkschaft kann sich die Stadt Stuttgart nach der Randale nicht mehr gegen ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen sperren. «Jugendliche haben auch außerhalb der derzeit gesperrten Clubs ausreichend Gelegenheit, sich Alkohol zu kaufen», sagte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer. Auch eine Sperrstunde zum Beispiel zwischen 3.00 und 7.00 Uhr morgens müsse diskutiert werden, forderte er.

Gelegenheit zur Aufarbeitung in der Politik soll eine Sondersitzung des Innenausschusses am Mittwoch im Landtag geben. Dort will die Opposition Innenminister Strobl ausführlich zur kriminellen Gewalt und zu Maßnahmen zum Schutz von Gesellschaft und Polizei befragen. Die Polizei hat angekündigt, in den kommenden Wochen mit verstärkten Kräften in Stuttgart unterwegs zu sein.

Auch aus der Bundespolitik kommen Forderungen nach Konsequenzen. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg, sagte der «Welt»: «Das Entstehen rechtsfreier Räume dürfen wir nicht zulassen.» Die innenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, sagte der Zeitung: «Nun müssen akribisch alle Erkenntnisse zusammengetragen werden, damit zügig geklärt werden kann, wer dahintersteckt und wie es überhaupt dazu kommen konnte.» Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir sorgt sich um den Ruf der Stadt: Man müsse aufpassen, dass Stuttgart keine Anziehungskraft für Randalierer dieser Art entwickele, sagte er in einem SWR-Interview.