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Streit um Flüchtlinge: Grüne verärgert über Gentges

Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU)
Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU). Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild
In der Asylpolitik sind sich die Koalitionspartner im Südwesten nicht wirklich grün. Die Lage in Afghanistan lässt die Differenzen wieder aufbrechen. Die CDU provoziert den Grünen-Landeschef.
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - In der grün-schwarzen Koalition gibt es Streit über ein mögliches Landesprogramm zur Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen. Angesichts der dramatischen Lage in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban dringt Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand darauf, über Familiennachzug deutlich mehr Menschen aufzunehmen als bisher in Deutschland vorgesehen. Justizministerin Marion Gentges (CDU) lehnte solche Ansinnen per Interview ab und verwies auf das Bundesprogramm zur Aufnahme von Ortskräften, an dem sich der Südwesten beteilige. Das löste bei den Grünen Verärgerung aus. Es gebe «erheblichen Gesprächsbedarf», hieß es am Montag aus Grünen-Kreisen in Stuttgart. Gentges ruderte daraufhin etwas zurück, sieht aber bei möglichen Aufnahmeprogrammen zunächst den Bund in der Pflicht.

Hildenbrand hatte in einem Positionspapier geschrieben: «Die menschenverachtenden Taliban haben die Macht übernommen und viele Menschen müssen um ihr Leben fürchten. Es muss jetzt darum gehen, dass wir möglichst viele Menschen retten.» Das Papier sei mit der grünen Seite der Landesregierung und der Fraktion abgestimmt, hieß es. Darin schreibt Hildenbrand weiter: «Mit einem eigenen Landesaufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan wollen wir getrennte Familien zusammenbringen. Es soll insbesondere über Anträge von in Baden-Württemberg lebenden afghanischen Angehörigen umgesetzt werden.»

Gentges erklärte in der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten», man sei sich in der Regierung einig, dass man sich nur am Programm zur Aufnahme der Ortskräfte beteiligen wolle. «In einen gegenseitigen Überbietungswettbewerb zu gehen wird der Sache nicht gerecht.» Sie sagte, die Länder hätten sich dem Beschluss der Innenminister angeschlossen, es bei dem Bundesprogramm zu belassen. Allerdings arbeitet etwa Schleswig-Holstein an einem eigenen Aufnahmeprogramm, was Hildenbrand begrüßte. In der dortigen Jamaika-Koalition stellt die CDU die zuständige Innenministerin.

Gentges verwies in dem Interview dagegen darauf, dass die Flüchtlinge zuerst in der Region Schutz finden sollten. «Wenn sich die Zahlen ändern, müssen wir damit umgehen und auch da ist Baden-Württemberg kein Land, das sich seiner Verantwortung entzieht.» Ein Sprecher ergänzte am Nachmittag: «Momentan scheinen Aufnahmeprogramme, verbunden mit etwaigen Verhandlungen mit den Taliban, aus unserer Sicht sinnvoll nur vom Bund koordinierbar und zu organisieren zu sein.» An einem eventuellen Bundesaufnahmeprogramm werde sich Baden-Württemberg selbstverständlich beteiligen. «Aus unserer Sicht sollten Gespräche darüber schnell beginnen.»

Auch eine Sprecherin von Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte: «Der Ministerpräsident und auch die Justizministerin haben klar signalisiert, dass Baden-Württemberg für Hilfe bereitsteht. Aus Sicht des Staatsministeriums sind jetzt dringend Gespräche auf Bund-Länder-Ebene notwendig, um die Hilfe bestmöglich zu koordinieren.»

Hildenbrand mahnt zur Eile: «Uns erreichen zahlreiche Anfragen von verzweifelten Menschen, deren Familienangehörige sich in Afghanistan in größter Gefahr befinden oder die vor dieser Gefahr in Anrainerstaaten geflohen sind.» Es sei «ein Gebot der Humanität, dass wir diesen Familien hier bei uns eine Perspektive für ein gemeinsames Leben in Sicherheit und Freiheit eröffnen».

Nach der Machtübernahme durch die militant-islamistischen Taliban in Afghanistan infolge des Rückzugs ausländischer Streitkräfte will Deutschland Menschen aufnehmen, die etwa als Übersetzer, Fahrer oder anderweitig für die Bundeswehr oder Entwicklungshilfeorganisationen gearbeitet haben. Baden-Württemberg will nach Angaben von Gentges bis zu 1100 bedrohte Ortskräfte und Verwandte aufnehmen. Zuletzt seien rund 300 in 60 Familienverbünden in den Südwesten gekommen.

SPD-Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch warf der CDU «Wahlkampfdonner» vor. «Noch vor wenigen Wochen hat es aus der CDU getönt, man könne selbstverständlich auch nach Afghanistan abschieben.» Mit ihrer Zurückweisung des Positionspapiers der Grünen habe Gentges vor der Bundestagswahl «das Schleppnetz möglichst tief in konservative Wasser» versenken wollen.

© dpa-infocom, dpa:210822-99-927029/4