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Baumschnitt
Stutzen wie der „Remstalrebell“

Ein Baum, wie ihn Helmut Palmer gern gesehen hätte: Geschnitten nach dem Palmer-Schnitt. Fotos: Andreas Riedmiller /Gudrun Mangold
Ein Baum, wie ihn Helmut Palmer gern gesehen hätte: Geschnitten nach dem Palmer-Schnitt. Foto: Andreas Riedmiller /Gudrun Mangold
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Er habe Helmut Palmer auf dessen Sterbebett zugesichert, seine Obstbaumschnitttechnik weiterzutragen. Auch Jahre später hält Helmut Ritter an diesem Versprechen fest und gibt bei seinen Kursen den Palmer-Schnitt zum Besten.

In welchem Maße der Geradstettener Obstbauer und Bürgerrechtler Helmut Palmer das Bild der Kulturlandschaft Streuobstwiese beeinflusst hat, erklärt Helmut Ritter bei einem Spaziergang durch das Gewann Breitengarten zwischen Strümpfelbach und Schurwald. Im Zuge dessen stellte Palmertochter Gudrun Mangold ihr neues Buch vor: „Der originale Palmer- Schnitt – Spitzenerträge im Streuobstbau“. Treffpunkt für die Erkundungstour war am Lutherbaum. Ganz in der Nähe bewirtschaftet Helmut Ritter, treuer Wegbegleiter des 2004 verstorbenen Helmut Palmer, mehrere Streuobstwiesen.

Werbetrommel für den Oeschbergschnitt

Der „Remstalrebell“ Helmut Palmer hatte während seiner Lehre als Obstbauer, die ihn zwischen 1946 und 1950 in die Schweiz geführt hatte, dort den „Oeschbergschnitt“ kennengelernt, eine Methode zur Pflege von Obstbäumen. Die Vorteile dieser Methode gegenüber dem bis dahin praktizierten Alt-Württemberger Schnitt, berichtete Helmut Ritter, hätten Palmer davon überzeugt, sie selbst anzuwenden, konsequent weiterzuentwickeln und auch im Rahmen von Schnittkursen zu verbreiten.

Die beim Alt-Württemberger Schnitt angewandte Erziehung von in mehreren Etagen angeordneten Gerüstästen führe zwangsläufig dazu, dass sich die Krone schirmartig immer stärker entwickle, während die unteren Etagen durch sie von Licht und Durchlüftung abgeschnitten würden. Dies führe zu einer Verkahlung der unteren Bereiche und zu einem hohen Anteil von Schattenfrüchten.

Als Marktbeschicker bis nach Reutlingen und Tübingen habe Palmer auf qualitativ hochwertiges Obst großen Wert gelegt. Dies versprach er sich vom Oeschbergschnitt, den er auch unter seinen Lieferanten offensiv bewarb und durch Schnittkurse zu verbreiten suchte. Bei ihm strebe man den Aufbau von vier Leitästen sowie für jeden von ihnen drei begleitenden Fruchtästen als dauerhafter Baumstruktur an. An den Leit- und Fruchtästen befinde sich das obstbringende Fruchtholz. Um den zentralen Stamm selbst werde eine sich nach oben verjüngende Spindel aus Furchtästen und Fruchtholz aufgebaut. Die dadurch erzielte breite Baumkrone ermögliche eine relativ bodennahe Ernte, der Baum sei in allen Bereichen der Krone gleichmäßig produktiv und verspreche einen hohen Anteil an ausgereiften gesunden Früchten, da der Lichteinfall von oben und eine optimale Belüftung gewährleistet seien.

Es handle sich um eine Methode, die ihn selbst nicht nur überzeugt habe, sondern die sich auch in der Wirklichkeit bewährt habe, so der 64-jährige Hobby-Obstbauer Helmut Ritter. An Helmut Palmers Sterbebett habe er ihm versprochen, Obstbaumschnittkurse zu geben und sich so weiter für die Verbreitung des Oeschbergschnitts und damit das typische Landschaftsbild einzusetzen.

Immer weniger Menschen auf den Obstwiesen anzutreffen

Für den Baumschnitt, so Ritter, habe Palmer dieselbe Notwendigkeit erkannt, wie in Bezug auf die Verwaltung und das politische Establishment: Oben müsse man stutzen und zurückschneiden, damit nach unten Licht und Luft kommen. Anekdotenhaft berichtete er auch, dass Helmut Palmer bekannt dafür gewesen sei, dass er bisweilen auch vor fremden Obstbäumen nicht Halt machte, deren Zustand ihn ärgerte, und ungefragt Astschere und Säge ansetzte, um deren Zustand zu verbessern. Durch und durch PR-Mensch habe sich Palmer stets auch „strategisch günstig“ gelegene Bäume, wie am Aufstieg von Strümpfelbach zum Schurwald ausgesucht, um an ihnen mustergültig die von ihm propagierte Schnittmethode vorzuführen.

Ritter versäumte auch nicht, auf einen Prozess hinzuweisen, der zur Zeit gerade stattfinde und langfristig tiefgreifende Auswirkungen auf das Landschaftsbild haben werde: „An einem solchen Vorfrühlingssamstag, mit strahlend blauem Himmel, Sonnenschein und frostfrei, sollte man doch meinen, dass auf jedem Baumstückle jemand am Arbeiten ist und seine Bäume pflegt.“ Der Einzige, den man im Breitengarten jedoch antreffe, sei der 85-jährige Alfred Wilhelm, der noch immer auf die Leiter steigt, um seine Bäume zu schneiden. Aber, so Ritter, so lange man sich nicht scheue, für den Doppelzentner Mostobst vier, fünf oder sechs Euro zu bezahlen, werde sich diese Entwicklung allenfalls beschleunigen.