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«Team Hilflos»? SPD wirft Grün-Schwarz Impf-Versäumnisse vor

Winfried Kretschmann
Winfried Kretschmann redet im Bürger- und Medienzentrum des Landtags von Baden-Württemberg. Foto: Bernd Weißbrod/dpa
Alle sollen sich impfen lassen - aber die, die wollen, müssen oft lange Schlange stehen. Die Opposition kritisiert die Landesregierung für Versäumnisse beim Impfen - und nennt Grün-Schwarz «Team Hilflos».
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - Weil sich die Intensivstationen mit Corona-Kranken füllen, gelten von diesem Mittwoch an im Südwesten nochmal strengere Regeln im Kampf gegen die Pandemie. Bei Veranstaltungen, in Bars und Clubs haben etwa nur noch Geimpfte und Genesene Zutritt, die zusätzlich einen Test vorweisen können. Aber es könnte noch ungemütlicher werden. Der Landtag gab der Regierung am Mittwoch grünes Licht, noch deutlich schärfere Maßnahmen zu ergreifen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wollte gar einen erneuten Lockdown nicht ausschließen.

Kretschmann schildert dramatische Lage - und räumt Fehler ein

Kretschmann zeichnete eine düsteres Bild von der aktuellen Lage - und vor allem von dem, was noch bevorsteht. «Die vierte Welle trifft uns mit brutaler Wucht.» Das Land laufe auf Situationen zu, wie man sie in der Pandemie noch nicht erlebt habe, sagte er mit Blick auf die Intensivstationen, die in wenigen Wochen heillos überlastet seien, wenn es so weitergehe. Er habe große Sorge, dass dann nicht mehr alle Patienten behandelt werden könnten. «Allein die Impfung ist der dauerhafte Ausweg aus diesem Schlamassel.» Aber: Selbst wenn man jetzt Tempo beim Impfen mache, werde man frühestens im Januar wieder die Infektionen runterbringen. Bis es soweit sei, müsse man Kontakte reduzieren. «Ich hoffe, dass wir um einen Lockdown herumkommen – versprechen kann ich es aber nicht.»

Kretschmann räumte ein, die Impfbereitschaft der Bevölkerung falsch eingeschätzt zu haben. Er hätte erwartet, dass sich im Sommer und Herbst genug Menschen impfen lassen würden. Ihm sei klar gewesen, dass es Menschen gebe, die den Impfungen skeptisch gegenüber stünden und die Gefährlichkeit von Corona leugneten. Dennoch sei er überzeugt gewesen, dass sich am Ende Vernunft und der rationale Selbsterhaltungstrieb durchsetzten. Man hätte viel mehr impfen können, aber die Nachfrage sei nicht da gewesen.

Landtag gibt grünes Licht für schärfere Maßnahmen

Der Landtag gab der Landesregierung grünes Licht für noch schärfere Mittel im Kampf gegen die Pandemie. Falls die bereits ergriffenen Maßnahmen sich als nicht ausreichend erweisen sollten, seien weitere Schritte notwendig, heißt es in einem Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen, der am Mittwoch mit den Stimmen von Grünen und CDU beschlossen wurde. Der Landtag gebe der Landesregierung dafür «die notwendigen Handlungsmöglichkeiten, um weitere Schutzmaßnahmen ergreifen zu können». Das könnten beispielsweise weitere Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum sein oder das Verbot von Veranstaltungen. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sprach von einem «Freibrief» für die Regierung und kritisierte eine «Entmachtung des Parlaments».

Mit der seit Mittwoch gültigen Corona-Verordnung behält sich die Regierung zudem vor, «bei besonders hohem Infektionsgeschehen, spätestens, wenn die Sieben-Tages-Hospitalisierungsinzidenz die Zahl von 9 erreicht oder überschreitet, weitergehende Maßnahmen zu ergreifen». Konkrete Maßnahmen wurden in die Verordnung noch nicht aufgenommen. Die Hospitalisierungsinzidenz gibt die Zahl jener Menschen an, die pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche mit einer Corona-Infektion in eine Klinik kommen.

Opposition kritisiert Versagen der Impfkampagne

Die Politik appelliert immer intensiver an die Bevölkerung, sich impfen zu lassen. Gleichzeitig bilden sich lange Schlangen vor den Impfstationen. Diesen Widerspruch machte vor allem die SPD der Regierung zum Vorwurf. Fraktionschef Andreas Stoch kritisierte, man dürfe die Menschen nicht nur zum Impfen auffordern, sondern müsse das Impfen auch möglich machen, ohne dass man sich stundenlang die Beine in den Bauch stehen müsse. Es brauche mehr Personal, mehr mobile Impfteams und mehr Geld. Alle über 60 Jahre müssten zur Auffrischungsimpfung eingeladen werden. Er nannte die Regierung «Team Hilflos». FDP-Fraktionschef Han-Ulrich Rülke mahnte Kretschmann, die Impfpflicht nicht als Patentrezept darzustellen, welches keine Nachteile habe. Es brauche eine Impfgarantie, keinen Impfzwang.

Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) verteidigte die Impfpolitik. Er räumte ein, dass es mitunter lange Schlangen gebe. Aber: Die Schlangen würden in Kauf genommen, die Leute gingen hin, das sei ein gutes Zeichen. Keiner werde weggeschickt, sagte Lucha. Er plant 3,5 Millionen Impfungen bis Jahresende mit Hilfe von mobilen Impfteams, niedergelassenen Ärzten, Betriebsärzten und lokalen Impfzentren. Seit Mitte September gebe es Auffrischungsimpfungen in Alten- und Pflegeheimen, jede stationäre Einrichtung habe ein Angebot erhalten.

AfD weist alle neuen Maßnahmen zurück

Egal ob 2G oder 3G, Alarmstufe oder Schwellenwerte - die AfD hält grundsätzlich nichts von der grün-schwarzen Strategie gegen die Pandemie. Erneut würden Bürger zu Hause eingesperrt, kritisierte Fraktionschef Bernd Gögel mit Blick auf Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte in Corona-Hotspots. Er bezeichnete die von Kretschmann vorgeschlagene Impfpflicht als «totalitäre Maßnahme», gegen die sich die AfD mit allen politischen und rechtlichen Mitteln wehren werde. Mit Impfen lasse sich die vierte Welle zudem nicht mehr brechen. Stattdessen brauche es unentgeltliche Schnelltests für alle. Mit dem Zeichnen katastrophaler Bilder lenke die Regierung vom eigenen Versagen im Gesundheitswesen ab. Das eigentliche Problem seien Krankenhausschließungen und der Personalmangel in der Pflege.

CDU-Fraktionschef Manuel Hagel nannte die Haltung der AfD peinlich und brandgefährlich. Gögel und seine Truppe seien für die aktuelle Lage mitverantwortlich. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz sagte, die AfD trage zur Spaltung der Gesellschaft bei. «Dass wir heute in der Situation sind, hat auch was mit Realitätsverweigerung zu tun - dafür stehen Sie, Herr Gögel.»

© dpa-infocom, dpa:211124-99-122542/5