1. Startseite
  2. Überregionales
  3. Stuttgart & Südwest
Logo

Verfassungsschutz Baden-Württemberg beobachtet «Querdenken»

Verfassungsschutz beobachtet «Querdenken»-Bewegung
Polizisten stehen bei einer Kundgebung gegen die Corona-Beschränkungen unter dem Banner der Initiative «Querdenken 711». Foto: Christoph Soeder/dpa/Archivbild
Es begann in Stuttgart mit kleinen Demos gegen Corona-Auflagen. Doch mittlerweile sollen bei der bundesweit aktiven «Querdenken»-Gruppe sogenannte Reichsbürger und Rechtsextremisten das Sagen haben. Der Staat will dem nicht tatenlos zusehen - Baden-Württemberg geht voran.
Stuttgart.

Stuttgart (dpa) - Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet als erstes in Deutschland die «Querdenken»-Bewegung. Es lägen «hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung» vor, teilten Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube am Mittwoch in Stuttgart mit. «Querdenken richtet sich gegen die freiheitliche Grundordnung», sagte Strobl. Dies sei eine Tatsache und keine Vermutung.

Mehrere maßgebliche Akteure der «Querdenken»-Bewegung ordne das Landesamt dem Milieu der Reichsbürger und Selbstverwalter zu, die die Existenz der Bundesrepublik leugnen und demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren, hieß es. Die Stuttgarter Gruppe «Querdenken 711» ist so etwas wie die Keimzelle der mittlerweile bundesweit aktiven Corona-Protestbewegung. Strobl sagte: «Das Epizentrum des Phänomens bildet die Gruppierung Querdenken 711 aus Stuttgart.»

Vor allem «Querdenken»-Organisatoren im Visier

Der Innenminister erläuterte, die Beobachtung richte sich in erster Linie gegen die Organisatoren der Gruppe «Querdenken 711» in Stuttgart und ihre regionalen Ableger. Die Prüfung des Verfassungsschutzes habe ergeben, dass zentrale Akteure verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgten. Es handele sich um eine Gruppe von Personen «im niedrigen zweistelligen Bereich».

Minister sieht «toxische Mischung»

Bei der Bewegung gebe es eine «toxische Mischung», Rechtsextremisten gäben «staatsverachtende Impulse», sagte Strobl. Es häuften sich die Aussagen, die die Zeit der NS-Zeit relativierten und den Holocaust verharmlosten. Verfassungsschutzchefin Bube erläuterte, «Querdenken» vernetze sich gezielt mit anderen Rechtsextremisten und Reichsbürgern. Als Beispiel nannte sie ein «Arbeitstreffen» der «Querdenken»-Gruppe in Thüringen mit dem prominenten Reichsbürger Peter Fitzek, der sein eigenes «Königreich Deutschland» ausgerufen hat. Bei Demonstrationen werde von Rednern zum Widerstand aufgerufen, Reden hätten häufig einen «antisemitischen Einschlag».

Keine Massenüberwachung bei Demos

Strobl betonte aber, es gebe keinen «Generalverdacht» gegen Menschen, die gegen die staatlich verordneten Corona-Beschränkungen demonstrierten. «Es ruft nicht jede unliebsame Äußerung den Verfassungsschutz auf den Plan.» Der CDU-Politiker ergänzte: «Die meisten Demonstranten sind keine Extremisten.» Sie sollten aber schon schauen, wer mit ihnen laufe und welche Fahnen diese schwenkten. Bube sagte, ab sofort könnte der Verfassungsschutz seinen ganzen Instrumentenkasten zur Beobachtung der Organisatoren einsetzen. Dabei gehe es um Observation, den Einsatz von V-Leuten sowie Internet-Überwachung.

«Querdenken»-Gründer wehrt sich

Der Gründer von «Querdenken 711», Michael Ballweg, zeigte sich empört: Es seien nur «allgemeine, völlig substanzlose Gerüchte und Anschuldigungen» vorgebracht worden. «Die Beobachtung sehen wir als einen weiteren Versuch der Regierung an, friedliche Demonstranten einzuschüchtern und über diese Nachricht zu spalten (...).» Das werde nicht funktionieren, sondern nur dazu führen, «dass die schikanierten Menschen noch mehr zusammenhalten». Er fügte an: «Der Versuch, uns in irgendeine politische Ecke stellen zu wollen, erinnert doch sehr an die Zeit, als das Stasi-Handbuch und der «Zersetzungsbegriff» der Denunzierung und gesellschaftlichen und politischen Diskreditierung von Regimekritikern noch in der DDR angewandt wurde.»

Anhänger der Initiative «Querdenken 711», das Kürzel kommt von der Stuttgarter Telefonvorwahl 0711, und Ableger der Bewegung sind in den vergangenen Monaten in zahlreichen deutschen Städten gegen Beschränkungen in der Corona-Krise auf die Straße gegangen. Die Mischung der Teilnehmer ist vielfältig: Sie reicht von eher bürgerlichen Demonstranten, Esoterikern, Friedensbewegten bis hin zu Reichsbürgern und offen Rechtsextremen. Zuletzt war es auch im Umfeld der Demonstrationen immer wieder zu Gewalt gekommen. Bube nannte auch den versuchten Sturm auf den Reichstag Ende August.

Ziehen andere Länder nach?

Auch die Innenministerkonferenz will sich an diesem Donnerstag mit dem Thema befassen. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte bereits eine schnelle Beobachtung der Bewegung gefordert. Bube sagte, man sei im Gespräch mit dem Bundes- und den anderen Landesämtern, über eine Beobachtung werde jedoch individuell entschieden. Der Verfassungsschutz in Bayern beobachtet die «Querdenken»-Bewegung als Ganzes derzeit nicht, allerdings einzelne Personen, hieß es in München.

Der FDP-Innenpolitiker im Bundestag, Benjamin Strasser, sagte: «Die offensichtliche Radikalisierungsspirale von Querdenken hat nichts mehr mit normalem, demokratischen Protest zu tun. Aus den Reihen dieser Gruppe wurde zum Sturm auf freigewählte Parlamente, zu Drohungen und Gewalt gegen staatliche Institutionen aufgerufen.»