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Von Blaupausen, Bremsklötzen und toten Pferden

Andreas Stoch (l) und Andreas Schwarz
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch (l) und Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz unterhalten sich vor einer Landtagssitzung. Foto: Bernd Weißbrod/dpa
Ampel an, Fahrt voraus? Im Landtag flirtet die SPD mit Grünen und FDP. Kretschmann will von Farbenspielen nichts wissen - sagt er zumindest. Wird ein Ampelbündnis seine Macht in Berlin beschränken?
Stuttgart.

Stuttgart (dpa/lsw) - Es ist erstmal ein ziemlich ungewöhnliches Geflirte und Geschmeichle am Mittwochmorgen im Landtag. Fast überschwänglich gratuliert SPD-Fraktionschef Andreas Stoch zunächst den Grünen, dann der FDP, dann sich selbst zum Wahlergebnis. Die drei Parteien gehörten eben zur «Reihe an Siegern in diesem Land». FDP und Grüne stünden für Fortschritt und Veränderung. Fehlen eigentlich nur noch die Blumensträuße. Die Ansprache Stochs an die CDU fällt weniger charmant aus. Die sei abgewählt worden und der größte Wahlverlierer. «Ich gratuliere allen Siegern und jenen, die sich dafür halten», wird auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke kurz darauf sagen. Grüne und FDP seien nun in einer Schicksalsgemeinschaft. Und die Union stehe vor einem Bürgerkrieg.

Die Ampel strahlt im Landtag in allen Farben, könnte man meinen.

Nicht so hastig. In Baden-Württemberg ticken die Uhren etwas anders als im Bund. Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich nach der Landtagswahl im Frühjahr nach mühsamen Sondierungen eben nicht für eine Ampel mit SPD und FDP entschieden, sondern für eine Fortsetzung des Bündnisses mit der CDU. Er verwies damals auf fehlende Gemeinsamkeiten mit den Liberalen. Heute steht er zu seinem Bündnis mit der Union, die sich im Bund in eine Jamaika-Koalition retten will. Am Wahlabend sagt der konservative Grüne, dass er die SPD nicht als den natürlicheren Partner der Grünen sieht. Kretschmann sieht den Koalitionsvertrag mit der CDU, der vor Klimaschutzplänen nur so strotzt, gar als Blaupause für den Bund.

Im Südwest-Koalitionsvertrag stünden zwar wohlklingende und ambitionierte Ziele, aber die CDU stehe seit Jahren nur auf der Bremse, entgegnet Stoch am Mittwoch. Er hält die Entscheidung für Grün-Schwarz für eine vertane Chance. Kretschmanns Regierungsmodell sei keine Blaupause für den Bund, sondern Auslaufmodell. Beim Ausbau sauberer Energie etwa hinke man Bund und anderen Ländern deutlich hinterher. Baden-Württemberg sei im Bund zudem Bremsklotz bei Digitalisierung oder Ganztagsbetreuung. Und: Kretschmann schiebe die Schuld immer wieder auf Berlin. Stoch sagt, er freue sich auf eine grüne Regierungsbeteiligung im Bund, da der Landesregierung dann die Ausreden ausgingen.

Aber wie wirkt sich die Regierungsbildung auf den Einfluss Baden-Württembergs in der Bundespolitik aus?

Die FDP im Landtag hält Jamaika wie Ampel im Bund für möglich, warnt aber vor einem massiven Verlust an Gewicht des Südwestens im Bund, sollte es zu einer Ampel kommen - und schiebt das Kretschmann in die Schuhe. Der habe mit der Entscheidung für Grün-Schwarz im Land ein «totes Pferd gesattelt», sagt FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Denn die desolate Union säße im Fall einer Ampel im Bund in der Opposition. Zudem wäre Olaf Scholz dann SPD-Kanzler, und den habe Kretschmann bei jeder Gelegenheit missachtet. «Wie, Herr Ministerpräsident, wollen Sie dann noch die Interessen des Landes Baden-Württemberg vertreten?», fragt Rülke.

Kretschmann verteidigt seine Entscheidung für Grün-Schwarz, die er auch teils gegen die eigene Partei durchsetzte. Er habe dabei nicht auf den Bund geschielt und auf das, was im Herbst die «Farben der Saison» sein könnten, sagt der Regierungschef. Ihm sei es um das Gemeinwohl gegangen, nicht um bundespolitische Taktiererei. Er habe sich keinesfalls verzockt, sondern im Interesse des Landes gehandelt. Kretschmann verweist auf die bunte Zusammensetzung des Bundesrats - und zählt die unterschiedlichsten Bündnisse auf: Rot-Rot-Grün, Kenia, Rot-Grün-Rot, Ampel, Deutschland, Jamaika, Schwarz-Gelb. Diese Bündnisse würden jetzt nicht alle auf einmal falsch, unmodern oder handlungsunfähig, «nur weil sich der Wind in Berlin gedreht hat». Die Zeiten fester Lager und Bündnisse seien vorbei.

Aus Sicht von Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz hat vor allem der Bund in den vergangenen Jahren blockiert. «Gerade beim Klimaschutz merken wir immer wieder, wie wichtig es hier ist, dass nicht der Bund blockiert, wenn das Land vorangehen möchte.» Er sei aber zuversichtlich, «dass wir für unser Klimaschutzprogramm in Baden-Württemberg bald Rückenwind aus dem Bund bekommen». Die Inhalte aus dem Südwesten, die Solarpflicht für Neubauten, die Klimaziele, seien eine Blaupause für Berlin. Die Wähler hätten für den Klimaschutz gestimmt, es brauche nun auch im Bund eine Klimaregierung. Wichtig sei nicht die Farbenlehre, sondern dass man vertrauensvoll zusammenarbeite.

© dpa-infocom, dpa:210929-99-409128/3