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Die Befreiung empfinden viele als zweiten Geburtstag

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Aus Polen waren Angehörige von Opfern gekommen.Foto: Alfred Drossel
Zur Gedenkstunde an der KZ-Gedenkstätte Vaihingen sind zwei Familien aus Polen angereist – Vortrag von Textpassagen aus Lebenberichten ehemaliger Häftlinge

Vaihingen. Das Schicksal der Überlebenden stand gestern im Mittelpunkt der alljährlichen Gedenkstunde zu Ehren der Opfer des KZ Vaihingen und des Nationalsozialismus. Die Insassen des Konzentrationslagers empfanden die Befreiung wie einen zweiten Geburtstag, doch nach Kriegsende gerieten viele von ihnen zwischen alle Fronten.

Die beiden aus Polen zur Gedenkfeier angereisten Familien finden im Enztal ein idyllisches Ambiente vor. Es ist Frühling geworden, die Sonne verleiht den blühenden Obstbäumen rund um die KZ-Gedenkstätte ein fast märchenhaftes Antlitz. Doch die Idylle trügt. Das wissen auch die Gäste aus Polen, denn ihre Vorfahren gehörten zu den im Konzentrationslager Vaihingen/Enz ermordeten Menschen. Von 1952 bis 1958 wurden 1488 Opfer aus den Massengräbern geborgen und entweder auf dem neu gestalteten KZ-Friedhof begraben oder in ihre Heimatländer überführt.

Der Verein KZ-Gedenkstätte Vaihingen/Enz setzt sich für das Erinnern an die Opfer ein. Bei der Gedenkstunde aber richtete sich der Blick auch auf das Schicksal der Überlebenden. Mehrere Vereinsmitglieder trugen kurze Textpassagen vor, in denen sie flüchtige Einblicke in einzelne Schicksale ermöglichten. Die Passagern stammen oder beziehen sich auf Lebensberichte, die von den ehemaligen Häftlingen entweder selbst veröffentlicht oder dem Verein übergeben wurden.

Die Häftlinge empfanden die Befreiung durch französische Soldaten am 7. April 1945 eigener Aussage nach wie einen zweiten Geburtstag. „Wie die beste Medizin“, so formulierte es der Pole Jerzy Wojciewski. Zuvor hatte er im „Todeskommando“ gearbeitet: Er musste die Leichen gestorbener Häftlinge in Gruben werfen, dabei hatte er sich ein Fleckfieber eingefangen. Nach Ende der Quarantänehaft konnte Wojciewski vorerst auf bessere Zeiten hoffen: „Wir kamen zur Rekonvaleszenz nach Neuenbürg, dann nach Bensheim“, hat er festgehalten.

Doch längst nicht alle Überlebenden durften so optimistisch sein, viele von ihnen gerieten zwischen alle Fronten. Die Zeitzeugin und Autorin Wendelgard von Staden – sie war zur Zeit der KZ-Befreiung eine junge Frau – beschreibt in einem ihrer Bücher, wie zwei junge Russinnen Vaihingen verlassen müssen. KZ-Häftlinge aus der Sowjetunion müssen zurück in die Heimat. Die Autorin aber hat sich mit Lida und Sina in den vergangenen vier Jahren angefreundet. Es bleibt nur kurze Zeit für einen traurigen Abschied. „Später erfuhren wir, dass sie nie in ihrer Heimat angekommen sind“, schreibt die Autorin. „Stalin hat alle, die doch mit Gewalt nach Deutschland geholt wurden, wegen ihrer angeblichen Unterstützung der Deutschen als Kollaborateure nach Sibirien oder sonst wohin geschickt.“

Auch andere Überlebende des KZ Vaihingen hatten es nicht leicht – so wie bis zu sieben Millionen Menschen, die nach Kriegsende als „Displaced Persons“ in Deutschland gestrandet waren. Auch der in Polen geborene Mendel Gutt befand sich damals in einer verzwickten Lage. Er lebte 1947 in einem Auswanderungslager in Frankfurt und wollte in die USA emigrieren. Allerdings war nach einem Kolbenschlag bei einer Auseinandersetzung mit KZ-Wächtern drei Jahre zuvor sein rechtes Auge zerstört worden – die US-Behörden nahmen diese gesundheitliche Einschränkung zum Anlass, ihm die Einreise zu verweigern.

Der bereits erwähnte Jerzy Wojciewski schaffte es nach seiner Reha-Auszeit, in seine Heimat zurückzukehren. Doch auch dort stand er vor dem Nichts, nachdem die deutsche Wehrmacht seine polnische Heimatstadt systematisch geplündert und zerstört hatte. „Direkt von der Rekonvaleszenz kehrte ich zurück“, notierte Wojciewski. „Doch mein geliebtes Warschau war zerstört.“