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Großfamilien
Kinder, Kinder

Fotos: Christian Charisius/dpa, Andreas Essig
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30 Prozent der klassischen Zwei-Kind-Familien in Deutschland wünschen sich ein drittes Kind – doch nur zehn Prozent wagen diesen Schritt. Von Markgröningen aus setzt sich der Landesverband kinderreicher Familien für eine größere gesellschaftliche Akzeptanz ein.

Markgröningen. Der Ford Galaxy, Euro-Norm vier, muss in der Garage bleiben, wenn Rahel Dornhausen, ihr Mann und die vier Kinder im Alter zwischen 11 und 19 Jahren aus Markgröningen nach Stuttgart fahren wollen: Dieselfahrverbot. Also nimmt die Großfamilie öffentliche Verkehrsmittel in die Landeshauptstadt. Als sie einmal am Wochenende nach 18 Uhr zurück nach Markgröningen will, fährt der letzte Bus aber nur nach Möglingen. Den Rest müssen die Dornhausens zu Fuß zurücklegen.

Der selbstständige Unternehmer Dietmar Lust verkauft Lüftungen für Häuser. Die Angebote an seine Kunden verschickt er per E-Mail um vier Uhr in der Nacht, manchmal auch um halb drei. „Es geht nicht anders“, sagt Lust. Tagsüber braucht der Markgröninger viel Zeit, um sich um seine Frau und die fünf Kinder zu kümmern, die zwischen zweieinhalb und 15 Jahren alt sind. „Manchmal lege ich mich mittags für eine Viertelstunde hin“, sagt Lust. „Das ist für mich wie zwei Stunden in der Nacht.“

Die Markgröninger Dornhausen und Lust führen den Landesverband kinderreicher Familien an – nach Bayern und Nordrhein-Westfalen der drittgrößte in Deutschland. Der Verband vertritt rund 1,2 Millionen Familien, die als kinderreich gelten. Das sind rund 10,8 Prozent aller Familien mit Kindern. In der Wissenschaft hat sich seit einigen Jahrzehnten die Definition durchgesetzt, dass eine Familie ab drei Kindern kinderreich ist. In früheren Zeiten lag die Grenze bei vier Kindern. Allerdings ist dieses Familienmodell mittlerweile so selten, dass die Grenze verschoben worden ist.

Rahel Dornhausen und Dietmar Lust sind bei ihrem Einsatz für Großfamilien zwei Punkte besonders wichtig: gesellschaftliche Akzeptanz und Hilfe zur Selbsthilfe. Dumme Sprüche haben die beiden genug gehört: „Habt Ihr keine anderen Hobbys?“ zum Beispiel oder noch so ein Klassiker: „Habt Ihr keinen Fernseher?“ Dornhausen befürchtet, dass es noch Zeit braucht, bis kinderreiche Familien wieder in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Jahrelang sei ein negativer Zusammenhang zwischen Bildung und vielen Kindern hergestellt worden. „Kinderreiche Familien landen schnell auf der asozialen Schiene“, sagt Dornhausen, die auch bei der ÖDP aktiv ist.

An die Politik hat sie konkrete Forderungen: höheres Kindergeld etwa. „Es gibt keinen großen Sprung zwischen Zwei- und Drei-Kind-Familien.“ Außerdem wünscht sie sich mehr Ausnahmen vom Dieselfahrverbot. Kinderreiche Familien sind auf große Autos angewiesen, die meistens von einem älteren Dieselmotor angetrieben werden. Da nickt auch Lust, der für die Grünen vergeblich versucht hat, in den Kreistag einzuziehen. Seine Familie hat einen VW-Bus.

Natürlich ist der Alltag für das Ehepaar Lust und die fünf Kinder manchmal schwierig. „Mietwohnungen für Familien unserer Größe sind auf dem Markt nur in homöopathischen Dosen vorhanden.“ Ihre Kinder haben weniger Platz zur Verfügung als ein Autoparkplatz, der etwa 18 Quadratmeter verbraucht. Die Dornhausens haben lieber gebaut.

Eine Herausforderung ist es für die Großfamilien auch, spontan einen Tisch in einem Restaurant zu bekommen oder die Kinder in die Musikschule oder den Sportverein zu transportieren. Dennoch sagt Lust: „Mir fallen gar nicht so viele Dinge ein, auf die ich verzichten muss. Die Freude, eine große Familie zu haben, überwiegt bei mir deutlich.“

Mit ihrem Verband haben sie gerade ein Patenmodell aufgebaut. Die Idee: Ehrenamtliche Kräfte gehen tageweise für einige Stunden in die Familien und sorgen für Entlastung. Dornhausen und Lust verweisen auch auf das Projekt Familie 3plus, das Vergünstigungen beim Kauf von Haushaltsgeräten oder Autos vorsieht. Dazu kommt das Fair-Family-Siegel. Es zeichnet familienfreundliche Unternehmen aus, die sich für die Interessen der Großfamilien einsetzen.

Die Markgröninger sind im Mai für zwei weitere Jahre an die Spitze des Landesverbandes kinderreicher Familien gewählt worden. Ihr Vorgänger, der Stuttgarter Marko von Oppen, ist mit seiner Frau und fünf Kindern auf Weltreise. Ihr Van mit zwei Dachzelten befindet sich derzeit wohl in Nicaragua. Rahel Dornhausen sagt: „Sie genießen die Reise sehr.“