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„Wenn wir sie nicht retten, ertrinken sie“

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Malte Laumburg (rechts) kurz vor dem Auslaufen mit Olaf Oehmichen auf der Sea-Eye, die bei ihren Mittelmeereinsätzen in den vergangenen eineinhalb Jahren schon 13 000 Menschen, meist aus Afrika, gerettet hat.Fotos: privat
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Seit vier Wochen ist Malte Laumburg auf Malta, dem Basishafen für die private Seerettungsorganisation Sea-Eye, und er hört sich schon an wie ein alter Hase. „Ich organisiere mit meinen Kollegen den Proviant für die zehnköpfige Crew und die Ausrüstung. Wir sorgen dafür, dass die Sea-Eye reibungslos ein- und ausklarieren kann.“ Als Klarierung wird in der Schifffahrt die Erledigung aller Pflichten bezeichnet, die ein Schiff bei Ankunft oder Abfahrt hat. Deswegen wird der 19-Jährige auch Agent genannt, ebenfalls ein nautischer Begriff.
Ludwigsburg. Das ist ein harter Schnitt im Leben des 19-Jährigen. Noch im Frühjahr war er ein stinknormaler Abiturient des Schiller-Gymnasiums in Ludwigsburg, der noch nicht genau wusste, was er eigentlich studieren möchte. „Da wollte ich die Zeit nutzen.“ Dass er nicht wie seine Kumpel ein bisschen Urlaub macht, liegt auch an Olaf Oehmichen. Der Asperger nämlich war bereits im April auf der Sea-Eye unterwegs und rettete bei seinem zweiwöchigen Einsatz mit der Crew 1388 Bootsflüchtlingen das Leben. Wobei der Begriff Boot nicht wörtlich zu nehmen ist. „Es gibt Nussschalen, große Schlauchboote und selten Fischerboote“, sagt Oehmichen, der seinen 52. Geburtstag am Karfreitag 70 Meilen von der libyschen Küste entfernt auf hoher See feierte.

Am Montagabend kam er auf Malta an, bis zum Ausklarieren der Sea-Eye wohnen beide in einer Unterkunft von Sea-Eye in Valletta. Bei ihrem Telefonat mit unserer Zeitung sind sie gerade beim Frühstück, gleich geht es zum Schiff. Denn der Architekt, der drei Wochen Urlaub genommen hat, ist dafür zuständig, die neue Crew zu unterweisen. Die Mischung macht’s: Die Hälfte sind Fachleute wie Seemänner oder passionierte Segler, auch Ärzte sind mit an Bord, die andere Hälfte sind Anfänger. „Wir üben die Rettungsaktionen schon im Hafen.“ Auch die eigene Sicherheit und der Umgang mit Meer und Schiff will gelernt sein.

Und Olaf Oehmichen ist gleichzeitig der Vater eines Schulkameraden von Malte Laumburg, der sofort fasziniert war von der Sea-Eye-Mission, und handeln wollte: „Was derzeit auf dem Meer mit den Flüchtlingen passiert, ist furchtbar. Und die Politik der Europäischen Union ist menschenunwürdig.“ Auch in seinem Freundeskreis wurde das Massensterben diskutiert, Malte war der einzige, der sich bewarb. Sein Engagement sei aber nichts Besonderes, sagt er. „Ich bin bei weitem nicht alleine.“ Die Hilfsorganisation Jugend Rettet etwa „arbeitet fast ausschließlich mit Studenten“.

Deren Schiff Iuventa wurde von der italienischen Polizei im August aus dem Verkehr gezogen. Auch der Verein Sea-Eye, der neben dem Kutter Sea-Eye noch mit der Seefuchs unterwegs ist, stellte seine Mission ein, fährt aber seit Anfang September wieder. Den Vorwurf der Behörden, die privaten Seenotretter (NGOs) arbeiteten den Schleusern in die Hände oder sogar mit ihnen zusammen, indem sie deren dreckiges Geschäft erst möglich machten, bezeichnet Malte Laumburg als „beschämend. Seit die Flüchtlingskrise losging, beschäftigt mich das. Die Menschen flüchten. Und wenn wir sie nicht retten, ertrinken sie.“ Die nicht-staatlichen Organisationen, sagen die Retter, übernähmen damit den staatlichen Job.

Angst vor seinem Einsatz hat der Abiturient keine, war als Klarierungsagent mit dem Einkauf von Reis, Nudeln, Wasser, Fleisch und Obst, dem Beschaffen von Ersatzteilen sowie dem Papierkram auch zu beschäftigt. „Ich halte mich für vergleichsweise robust“, sagt er. Gedanken macht er sich natürlich trotzdem: „Ich habe viel mit Olaf über seinen Einsatz geredet.“ Der wiederum weiß, dass auf dem Schiff im Notfall für Nachdenken keine Zeit ist. „Da pumpt das Adrenalin. Der Hammer kommt erst, wenn du wieder zu Hause bist.“ Dann kämen die Bilder hoch, etwa von dem Achtjährigen, der an Ostern vor der Ankunft der Sea-Eye ertrunken war. „Das geht nicht mehr weg.“

Bekommen sie Nachricht von der Rettungsleitstelle in Rom, fahren die Retter mit dem Schlauchboot zu den Booten der Flüchtlinge, an Bord ist immer ein Arzt und auch ein Kommunikator. Das wird Maltes Job. „Er muss Vertrauen aufbauen“, sagt Oehmichen, „und herauszufinden, wie viele Menschen an Bord sind.“ Es gehe auch darum, in den instabilen Booten Panik zu vermeiden. Rettungswesten werden verteilt, Wasser ausgegeben, Verletzte notdürftig versorgt.

Die Frauen und Kinder, die aus Schutzgründen in der Mitte säßen, sind besonders gefährdet. Häufig hätten sie Verätzungen von dem Benzin-Wasser-Gemisch in den undichten Booten. Auch die Schrauben an den Brettern, die die Schleuser zur Verstärkung anbrachten, sorgten für Verletzungen. „Und wenn das Boot sinkt, gehen sie als Erste unter.“

An Bord werden die Flüchtlinge nur bei Unwetter genommen oder wenn ein anderer Einsatz ansteht. „Wir können sie nicht alleine lassen.“ Häufig übernehmen große Schiffe vom Militär oder der italienischen Küstenwache die Flüchtlinge. Dafür werde notfalls auch in die 70-Meilen-Schutzzone vor Libyen gefahren, aber nur bis an die Zwölf-Meilen-Grenze. „Da fahren wir nicht rein.“

Heute laufen die beiden mit ihrer zehnköpfigen Crew aus, zwei Wochen sind sie unterwegs. Wenn der Wind aus Süd weht und der Wellengang gering ist, sind die Flüchtlingsboote unterwegs. Und dann muss schnell gehandelt werden. „Das ist nicht jedermanns Sache“, sagt Malte Laumburg. Und weiß, dass er angesichts der Not und des Sterbens nicht anders handeln will: „Es ist wohl eine Frage, was man persönlich hinnehmen möchte.“