Wie ein derart allgemein gehaltenes Muster die spezifische Dynamik der nationalsozialistischen „Bewegung“ erklären soll, die blinde Gefolgschaft, das teils hysterische Anhimmeln des „Führers“, die fanatische Bereitschaft zur eigenen Depersonalisierung und die von Beginn an gewalttätige und in den Massenmord mündende Zivilisationsfeindlichkeit – auf diese Fragen blieb Marks jede Antwort ebenso schuldig wie den empirischen Beleg einer besonderen oder wenigstens auffallenden Scham-Problematik der Parteigänger Adolf Hitlers. Auf die umfangreiche Literatur zur Frage, was so viele Deutsche nach 1933 zu Anhängern, Tätern und Mittätern eines verbrecherischen Regimes machte, ging der Freiburger Sozialwissenschaftler gar nicht erst ein – kein Wort über Klaus Theweleit oder Götz Aly, über Daniel Goldhagen oder Christopher Browning.
Stattdessen reduzierte Marks sein Thema aufs Minimum: Er erläuterte einen, in anderer Formulierung altbekannten, Mechanismus: das Umschlagen von Minderwertigkeitsgefühlen in Überlegenheitsgesten und Aggression. Dieses Muster, das Marks auf der Basis der Schampsychologie artikulierte, ist aber fast immer anwendbar, wenn autoritäre Herrschaftsformen auf psychische Faktoren zurückgeführt werden sollen. Marks stimmte in der lammfrommen Diskussion denn auch quasi jeder Analogie zu – und die Namen von Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan oder Wladimir Putin fielen fast automatisch. So vermag Marks’ Schamtheorie zwar zumindest teilweise zu erklären, weshalb jemand Anführern hinterherläuft, die auf ein anders strukturiertes Publikum nur schaurig-komisch wirken, und weshalb viele im selbst ernannten Dritten Reich auch ohne Zwang den rechten Arm hochrissen. Die eben nicht individual-, sondern massenpsychologische Spezifik des Nationalsozialismus, die nahezu kollektive Bereitschaft zum Verbrechen aber verfehlt sie komplett.
Stephan Marks’ Buch „Warum folgten sie Hitler?“ soll, so legt die Kritik es nahe, des Nachdenkens wert sein. Sein Freudentaler Vortrag war leider nur banal.