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Fortpflanzungsmedizin
Frühe Suche nach dem Gen-Defekt

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Dr. Andreas Ott vom Kinderwunschzentrum Ludwigsburg.Foto: Holm Wolschendorf
Im Sommer 2011 stimmte der Deutsche Bundestag über die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) ab. Bis dato galt diese als strafbar. Seither kann bei einer künstlichen Befruchtung der Embryo vor dem Einsetzen in die Gebärmutter genetisch untersucht werden. In Baden-Württemberg sind drei Zentren für Präimplantationsdiagnostik zugelassen, eines davon in Ludwigsburg.

Ludwigsburg. Vor sechs Jahren eröffnete Dr. Andreas Ott das Kinderwunschzentrum Ludwigsburg. Inzwischen gehört es zu den größten Zentren für Reproduktionsmedizin in Deutschland. Mehr als 5500 Paare wurden hier seither behandelt, über 2800 Kinder mit medizinischer Hilfe gezeugt. Seit wenigen Monaten ist das Kinderwunschzentrum als PID-Zentrum zugelassen.

 

Herr Dr. Ott, beschreiben Sie uns bitte, was es genau mit der Präimplantationsdiagnostik auf sich hat.

 

Andreas Ott: Die Präimplantationsdiagnostik, auch PID genannt, ist die Untersuchung von Zellen eines in vitro gewonnenen Embryos auf genetische Defekte. Grundvoraussetzung ist immer eine künstliche Befruchtung, also die Entnahme von Eizellen aus dem Eierstock der Frau, deren Befruchtung außerhalb des Körpers und die Entstehung eines Embryos. Dieser Embryo kann vor dem Zurücksetzen in die Gebärmutter der Frau auf genetische Defekte hin untersucht werden.

 

Kann jedes Paar, das sich einer künstlichen Befruchtung unterzieht, eine PID in Anspruch nehmen?

 

Es war ja jahrelang umstritten, ob die PID in Deutschland zulässig ist oder nicht. Nach konservativer Lesart des Embryonenschutzgesetzes war man davon ausgegangen, dass sie nicht zulässig sei. 2009/2010 hat ein Kollege aus Berlin bei drei Patientinnen eine PID durchgeführt und sich danach selbst angezeigt. Die Staatsanwaltschaft hat ermittelt, es kam zum Prozess. Am Ende hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die PID in Deutschland zulässig ist und dass es sogar das Recht eines Paares gibt, das ein hohes Risiko für eine genetische Erkrankung bei seinem Kind oder ein hohes Risiko für Fehl- oder Totgeburt hat, eine solche Untersuchung durchführen zu lassen. 2011 musste sich dann der Deutsche Bundestag mit dem Thema beschäftigen. Man hat ein Gesetz gemacht, das sogenannte PID-Gesetz. Demzufolge ist die PID erlaubt, aber nur in speziell zugelassenen Zentren, die die notwendige fachliche Qualifikation haben, und auch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Nämlich im Wesentlichen dann, wenn in der Familie eine schwere Erbkrankheit vorhanden ist, und das Kind möglicherweise betroffen sein könnte.

 

Ist im Gesetz definiert, was eine schwere Erbkrankheit ist und was nicht?

 

Nein. Man wollte bewusst eine Art Katalog vermeiden. Man hat das ganz offen formuliert. Eine weitere Indikation für eine Präimplantationsdiagnostik ist außerdem ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Tot- oder Fehlgeburt.

 

Wer entscheidet dann, ob eine schwere Erbkrankheit vorliegt?

 

Dazu wurden mehrere Ethikkommission bei den zuständigen Behörden oder Ärztekammern eingerichtet. Wenn ein Paar eine PID in Anspruch nehmen will, muss es bei der Ethikkommission einen Antrag stellen, wir als PID-Zentrum müssen diesen befürworten, und dann muss die Kommission innerhalb von drei Monaten ein verbindliches Votum abgeben.

 

Neben der Uniklinik Heidelberg und dem Zentrum in Freiburg ist das Ludwigsburger Kinderwunschzentrum als PID-Zentrum staatlich zugelassen. Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?

 

Das Genehmigungsverfahren ist aufwendig. Wir wurden sehr genau geprüft. Es muss zweifelsfrei festgestellt werden, dass ein Zentrum einen solchen komplexen Eingriff vornehmen kann. Und es muss vor allem sichergestellt werden, dass der Embryo durch die Zellentnahme nicht geschädigt wird. Es ist immerhin ein menschlicher Embryo. Es braucht große Sorgfalt und Verantwortungsgefühl bei den durchführenden Ärzten und Biologen sowie eine spezielle Laborausstattung.

 

Sie haben ausdrücklich betont, dass es um einen menschlichen Embryo geht. In der ethischen Diskussion geht es immer wieder darum, wie sich die PID zum Embryonenschutzgesetz verhält.

 

Ich glaube, der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung 2010 ein sehr kluges Urteil gefällt, indem er diese Untersuchungen nur unter ganz klar gefassten Voraussetzungen für zulässig erklärt hat. Damit hat der BGH schon zum Ausdruck gebracht, dass man keine „Menschenzucht“ und auch keine wahllose Selektion an Embryonen betreiben darf. Außerdem muss man zur Kenntnis nehmen, dass wir schon seit Jahrzehnten die Pränataldiagnostik haben, also zum Beispiel die Fruchtwasseruntersuchung, die sehr freizügig durchgeführt werden kann. Auch ohne vorherige Anrufung einer Ethikkommission. Eine Frau kann sich bis zur Frist für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch entscheiden, selbst wenn der Embryo völlig gesund ist. Da muss man aufpassen, dass man nicht in einen Wertungswiderspruch kommt, indem man einen Frühembryo, der aus vier oder acht einzelnen Zellen besteht, viel mehr schützt, als ein Kind im Mutterleib in der vielleicht 14. oder 16. Schwangerschaftswoche.

 

Ich denke, es ist letztlich eine sehr individuelle Entscheidung des Paares, ob es sich zutraut, ein behindertes Kind auszutragen und zu betreuen. Das kann man gar nicht generell regeln. Und gerade im Bereich der Pränataldiagnostik hat man überhaupt nicht den Eindruck, dass mit den medizinischen Möglichkeiten missbräuchlich umgegangen wird. Ein Kind wird nicht wegen irgendwelcher Lappalien abgetrieben. Ganz im Gegenteil. Die Paare gehen sehr verantwortungsvoll mit diesen Dingen um.

 

 

Aber ist nicht die Hemmschwelle, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, ungleich größer, als die Möglichkeit, einen Embryo einfach nicht einsetzen zu lassen?

 

Ja, das stimmt schon. Auf der anderen Seite muss man erst eine IVF-Behandlung über sich ergehen lassen. Das macht man auch nicht gerade so locker, zumal auch der finanzielle Aufwand immens ist.

 

Nehmen wir mal die Trisomie 21. Es gibt Eltern, für die ihr Kind mit Downsyndrom ein absolutes Wunschkind ist. Andere Eltern brechen eine Schwangerschaft mit der Diagnose Trisomie 21 ab. Bei einer PID mit dieser Diagnose wird sich doch aber keiner einen solchen Embryo einsetzen lassen.

 

Vor einer Präimplantationsdiagnostik findet genauso wie vor einer Pränataldiagnostik ein ausführliches ärztliches Beratungsgespräch statt. Man bespricht mit dem Paar, was überhaupt untersucht werden soll, und was es für Konsequenzen hätte, wenn dieses oder jenes herauskommt. Da ist das einzelne Paar gefragt, das überlegen muss, ob es tragbar wäre, ein Kind mit Downsyndrom zu haben oder nicht. Und wenn sie das eindeutig nicht möchten, dann ist es besser, dass der Embryo sich gar nicht erst im Mutterleib entwickelt und die 16. oder 18. Woche erreicht, um dann einen Abbruch zu machen. Da ist es doch besser, wenn man einen solchen Embryo gar nicht erst einsetzt. Wenn man abwägt, was ethisch oder moralisch und auch medizinisch vertretbarer ist, dann glaube ich, ist eine frühe Entscheidung besser als eine späte. Man darf auch nie vergessen, dass eine PID immer eine künstliche Befruchtung voraussetzt. Das macht eine Frau nicht einfach leichtfertig.

 

Wer übernimmt eigentlich die Kosten für eine PID?

 

Das muss von den jeweiligen Paaren privat bezahlt werden, und wir sprechen hier von vielen Tausend Euro. Selbst in den medizinisch begründeten Fällen mit einem positiven Votum der Ethikkommission ist derzeit keine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen vorgesehen.

 

Wäre dann nicht auch eine PID möglich, ohne dass es eine medizinische Indikation gibt. Einfach, weil die Eltern wissen wollen, ob das Kind krank oder gesund ist?

 

Nein, ohne konkrete Indikation auf Erbkrankheiten zu screenen ist nicht zulässig. Das mag in den USA oder auch in anderen Ländern möglich sein, aber bei uns zu Recht nicht. Es muss immer ein konkreter, definierter Anlass bestehen. Analog zur Pränataldiagnostik, die macht man ja auch nicht einfach so.

 

Was ich allerdings gut nachvollziehen könnte, ist, wenn Eltern vor dem Einsetzen wissen wollen, ob dieser Embryo überhaupt entwicklungsfähig ist oder nicht – unabhängig von einzelnen genetischen Merkmalen. Dass sie sich keinen Embryo einsetzen lassen wollen, der auf jeden Fall zu einem Abort oder einer Totgeburt führen wird. Dass sich Paare darauf ein Screening wünschen, kann ich nachvollziehen, und ich glaube, das ist auch ethisch unproblematisch.

 

Von wie vielen Paaren reden wir eigentlich bei der PID?

 

Von ganz wenigen. Es geht deutschlandweit um 200 bis 300 Fälle pro Jahr. Und das sind alles Paare, die ein schweres Schicksal zu tragen haben, weil sie schon ein schwerbehindertes Kind haben oder zum Beispiel mehrere Abbrüche oder Totgeburten aufgrund schwerer Missbildungen beim Föten durchmachen mussten. Der Leidensdruck bei diesen Paaren ist enorm und medizinische Hilfe daher geboten.

 

Sie haben seit einigen Monaten die Zulassung als PID-Zentrum. Haben Sie in dieser Zeit schon eine Präimplantationsdiagnostik gemacht?

 

Ja, in mehreren Fällen. Zum Teil waren sehr viele Embryonen von einer schweren Krankheit betroffen. So hatten wir die Chance, den Patientinnen voraussichtlich gesunde Embryonen zu übertragen.