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Jüdische Spuren überall sichtbar

Kein Ort im Landkreis Ludwigsburg ist so eng mit der jüdischen Geschichte verbunden wie Freudental. Schon im 16. Jahrhundert haben sich hier nachweislich Juden niedergelassen – und noch heute finden sich ihre Spuren überall in der Gemeinde. Ein Streifzug durch den Ort.

Ludwigsburg. Natürlich das PKC. Das Pädagogisch-Kulturelle Centrum Ehemalige Synagoge Freudental ist das Symbol schlechthin für die jüdische Vergangenheit im Ort und weit über die Gemeinde hinaus bekannt. Doch wer sich auf Spurensuche in Freudental begibt, der findet überall im Ortskern jüdische Vergangenheit: versteckt an Hauseingängen oder weithin sichtbar in Form von historischen Gebäuden. Kaum eine Straße, kaum ein Platz ohne jüdischen Bezug, kaum ein Gebäude ohne jüdische Geschichte.

 

Dabei lassen sich zwei Zentren des Judentums ausmachen, sagt der Historiker und Journalist Steffen Pross: das Areal rund ums Schloss sowie das PKC mit Judenschlössle, Synagoge und Rabbinat. Kaum jemand kennt sich so gut mit der jüdischen Geschichte Freudentals aus wie er. Mehrere Bücher hat Pross über das Schicksal der Freudentaler Juden verfasst, immer wieder führt er deren Nachfahren durch den Ort. Ausgangspunkt sind dabei meist Schloss und Rathaus – denn an keiner anderen Stelle kommen sich Anfang und Ende der jüdischen Geschichte so nahe. Wilhelmine von Grävenitz, Mätresse des Herzogs Eberhard Ludwig von Württemberg, hatte Anfang des 18. Jahrhunderts vom Schloss aus die Ansiedlung der Juden vorangetrieben. Erste jüdische Haushalte waren in Freudental zwar schon im Jahr 1525 nachweisbar, die Grävenitz nahm weitere jüdische Familien im Ort auf, setzte die Ansiedlung fort und erließ für die damalige Zeit das liberalste Judenedikt. Allerdings nicht aus humanitären Gründen, sondern um Geld in den Ort zu bringen. So konnte sich Freudental zu einem Mittelpunkt des jüdisch-religiösen Lebens im Unterland entwickeln. Selbst als die Grävenitz entmachtet war, setzte der Herzog die liberale jüdische Gesetzgebung fort. Im 19. Jahrhundert waren teils über 40 Prozent der Dorfbewohner Juden.

 

Im Kontrast dazu das Rathaus, das Dreh- und Angelpunkt der jüdischen Verfolgungsgeschichte ist und gleich in mehrerer Hinsicht ein Tatort: Einst auch Schulhaus, hat von hier aus der Hauptlehrer und später zum NS-Ortsgruppenleiter beförderte Ludwig Bauer die Nazifizierung im Ort vorangetrieben, jüdische Kinder gequält und aus der Schule geschmissen. Im Zuge der Reichspogromnacht versammelte sich hier der braune Mob, mit einem Tag Verspätung am 10. November 1938, marschierte zur Synagoge und wütete dort. Bürokratisch zu Ende gebracht wurde vom Rathaus aus auch die Arisierung Freudentals, indem sich Bürgermeister Paul Schwarz jüdische Grundstücke für die Gemeinde sicherte. Und schließlich ist das Rathaus auch Ausgangspunkt für die erste Deportation der Freudentaler Juden im November 1941.

 

Direkt neben dem Rathaus, im Haus Wertheimer, wohnte einst der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, der vom Ortsgruppenleiter Bauer mit Hass verfolgt wurde. Und nur wenige Meter entfernt steht noch heute das Gasthaus „Lamm“, das zeitweise von einem jüdischen Wirt betrieben wurde. Auf der anderen Straßenseite trafen sich die Nazis im „Hirsch“ und planten die Übergriffe auf die jüdischen Mitbürger. Allein diese räumliche Nähe zeigt, wie eng jüdische und christliche Gemeinschaft miteinander verwoben waren.

 

Bis Anfang der 1930er Jahre waren die Juden ein selbstverständlicher Teil des Dorflebens – mit Freundschaften, Feindschaften und Liebschaften. „Die Juden waren zwar immer etwas anders, aber sie wollten dazugehören – und das taten sie auch für zwei Jahrhunderte“, sagt Steffen Pross.

 

Hinweise darauf finden sich noch heute in Freudental, offen und versteckt: Kaum sichtbar ist zum Beispiel die Kerbe in der Eingangstür des Gebäudes Pforzheimer Straße 3. Fromme Juden bewahrten darin die Mesusa auf, eine Schriftkapsel mit dem Segen für das Haus. Eine unscheinbare Spur, die noch heute erkennen lässt, dass dieses Haus einst in jüdischem Besitz war. Auf die Mikwe in der Seestraße – ein rituelles Tauchbad – verweist dagegen ganz offen eine Tafel. Ebenso wie in der Strombergstraße, die bis 1933 Judengasse hieß, und auf engstem Raum jüdische Geschichte erzählt: Im Judenschlössle wurden im Jahr 1721 gezielt die ersten Juden angesiedelt, nur wenige Meter entfernt finden sich Synagoge und Rabbinat, das auch jüdisches Schulhaus war. In der Jägerstraße steht das frühere Schächthaus, heute eine Scheune. Das Areal war das geistige Zentrum der Freudentaler Juden, der Mittelpunkt des Gemeindelebens. Hier traf man sich und machte Geschäfte.

 

In der Strombergstraße 11 endet die Spurensuche: Es war das Haus der Familie Herrmann, die Landwirtschaft betrieb und zu den ältesten und angesehensten jüdischen Familien Freudentals zählte – bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten. Im Winter 1941/42 wurden hier die letzten noch in Freudental verbliebenen Juden zwangsuntergebracht – bis zu ihrer Deportation, die keiner überlebte. Im Jahr 1942 war Freudental „judenrein“.