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Völlig anderer Blickwinkel

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Mit dem Kanu und einem Zugwiesenguide geht es auf den Neckar – Große Tiervielfalt mit 140 Vogelarten im Grünzug

Wer zu den Zugwiesen will, geht im Normalfall zu Fuß oder fährt mit dem Rad. Für eine ungewöhnliche Art der Erkundung hatten sich am Wochenende knapp 20 Kinder und Erwachsene entschieden. Bei einer Kanutour unter der Leitung von Zugwiesenguide Uli Ostarhild erlebten sie das Neckarbiotop aus einer völlig neuen Perspektive. Ökologisch war die Kanutour nicht nur, weil die Natur im Mittelpunkt stand. Ausschließlich mit Muskelkraft bewegten sich die Teilnehmer vorwärts. Doch leider gehört der Neckar nicht nur den Freizeitsportlern, sondern ist eine offizielle Bundeswasserstraße, die täglich von rund 20 Schiffen befahren wird. „Wenn sich eines nähert, sollten sich die Paddler so schnell wie möglich in Ufernähe begeben“, richtete „Otti“ Günter Ott, erfahrener Begleiter des Kanuverleihers „Zugvögel“, vor dem Start einführende Worte an die Teilnehmer. Am besten sei es, das Boot so zu drehen, dass es direkt auf die Welle zusteuert, deren Wirkung nicht zu unterschätzen ist. Das Kentern sei kein Grund zur Panik: „Lasst euch Zeit, ich hol’ euch schon wieder raus.“ 

 

Der Alltag ist plötzlich weit weg

 

Der Alltag ist plötzlich weit weg Dann ging es los: Mit jedem Schlag, den das Paddel in das dunkelgrüne Wasser des Neckars eintauchte und mit jedem Meter, der zurückgelegt wurde, tauchte auch die Seele ab. Das nennt man wohl Entspannung. Ruhig ist es auf dem Neckar, der von Bäumen und Sträuchern eingerahmt ist, der Verkehrslärm und der Alltag sind plötzlich ganz weit weg. Der Schriftzug „Grünzug Ludwigsburger Neckar“ auf der Betonmauer unterhalb von Neckarweihingen weist den Weg. Die erste Herausforderung wartete an einer Boje. „Wir bilden ein Päckle“, beschrieb Otti die Aufgabe, bei der alle Boote zusammenrücken und eine Art Floß bilden sollten. Kleine Zusammenstöße bleiben bei solch einer Aktion nicht aus. Dicht beieinander blieben die Boote auch 

 

in der Schleuse unterhalb von Poppenweiler, in der die Kanuten locker sieben Meter aufstiegen. Der Anblick von Paddlern ist dort wohl nicht alltäglich, und so wurde die Gruppe zum beliebten Fotomotiv bei den Passagieren der Ausflugsschiffe. Das zweite Päckle wurde an der Stelle gebildet, an der der Zugwiesenbach in den Neckar mündet. Auch wenn er hier einem Gebirgsfluss ähnelt, ist er das Ergebnis von ausgetüftelter Landschaftsplanung und Ingenieurskunst, erfuhren die Teilnehmer. An welcher Stelle welcher Stein liege, sei kein Zufall, sondern sorgfältig geplant worden. „Die einzelnen Stufen zwischen den Steinen sind exakt angelegt worden“, sagte Uli Ostarhild. Durch die Einfriedung des Neckars in den 50er und 60er Jahren mit steilen Betonmauern seien viele Tierarten, darunter Fische und Kleinstlebewesen, verschwunden. Seinem ursprünglichen Namen Nik, der sich mit Wilder Fluss übersetzen lässt, macht der Neckar längst keine Ehre mehr. „Er wirkt heute eher wie eine Kette von Stauseen“, so Ostarhild. Der zertifizierte Kultur- und Naturlandschaftsführer ist ehrenamtlich als einer von zehn Zugwiesenguides regelmäßig vor Ort, um nach dem Rechten zu schauen und Fragen zu beantworten. Intensiv hat er sich mit der Entstehung dieses Biotops beschäftigt, dessen Kosten zwischen 9,5 und zehn Millionen Euro liegen. In der 17 Hektar großen Auenlandschaft genießt die Natur absoluten Vorrang.

 

Mensch darf nur beobachten

 

„Der Mensch ist willkommen, aber nur als Beobachter“, betonte Ostarhild. Müllbehälter fehlen ebenso wie Sitzbänke. Anders als in den Uferwiesen Hoheneck dient dieser sensible Bereich nicht als Freizeitgelände. Die Zugwiesenguides haben keine leichte Aufgabe, wenn sie Reitern, Hundebesitzern oder Mountainbikern klar machen müssen, dass das Betreten der Uferzone tabu ist, weil dort viele seltene Tierarten beheimatet sind. „Das im persönlichen Gespräch zu erklären, ist wirksamer als Verbotsschilder aufzustellen“, ist der Experte überzeugt. Der Landschaftsschutz hat bereits Früchte getragen: So sind mittlerweile 140 Vogelarten beobachtet worden, darunter Eisvögel, Gebirgsstelzen, Flussregenpfeifer oder Krickenten. In diesen Bereich dürfen aber auch Kanufahrer nicht vordringen. Zurücklehnen und genießen lautete die Devise, als sich die Kanus den Zugwiesen näherten. Milane ließen sich ebenso beobachten wie Fischreiher. An einer flachen Stelle legten die Boote an. Bei einem Spaziergang erläuterte Ostarhild, was diesen Bereich so besonders macht. „Die Mischung aus Bewegung, Abenteuer und Wissensvermittlung ist einfach klasse“, lautete das Fazit von Claus Wollenschläger, der wohl allen anderen Hobbykanuten aus der Seele sprach. Und auch Ottis Einsatz als Rettungsschwimmer war nicht erforderlich: Alle Teilnehmer kehrten ohne zu kentern zurück.

 

INFO: Weitere Informationen unter www.ludwigsburg.de, zu den Zugwiesenguides unter www.neckarguides. de. Infos auch unter Telefon (01 60) 90 75 30 37. Gruppenführungen bei der Touristinfo oder unter www.ludwigsburg.de