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Ältere Ehrenamtliche nicht mehr erwünscht

Ab wann ist man zu alt? Diese Frage stellt sich in der Coronakrise ganz besonders beim Thema Ehrenamt. Archivfoto: dpa
Ab wann ist man zu alt? Diese Frage stellt sich in der Coronakrise ganz besonders beim Thema Ehrenamt. Foto: dpa
Um in der Coronakrise weiterarbeiten zu können, hat die Diakonie für ihren Gebrauchtwarenladen ein neues, jüngeres Team zusammengestellt. Ein Teil der bisherigen Mitarbeiter – allesamt ältere Damen – fühlt sich abserviert. Hat das Senioren-Ehrenamt keine Zukunft?

Ludwigsburg. Gertrude Kusterer (69) kann es noch immer nicht fassen. Sieben Jahre war sie stolzes Mitglied im Team des Diakonieladens Glücksgriff, und nun das: Vor zwei Wochen erreichte sie und ihre Kolleginnen ein Brief der Diakonie. Darin wird den Ehrenamtlichen mitgeteilt, dass für den Laden nun ein neues Team zuständig ist und die bisherigen Ehrenamtlichen nicht zurückkehren können. „Ich war all die Jahre mit Herzblut dabei und muss nun durch ein Schreiben des Kreisdiakonieverbands erfahren, dass meine Mitarbeit nicht weiter erwünscht ist“, empört sich Kusterer. Wie sie seien auch andere Kolleginnen sehr enttäuscht.

Der Diakonieladen war wie viele andere Geschäfte im Zuge der Coronakrise im März geschlossen worden. Im April wurde er wiedereröffnet. Die älteren Ehrenamtlichen, die den Laden jahrelang gemanagt und zwei Umzüge mitgemacht hatten, waren da allerdings nicht mehr mit von der Partie. Der Schutz vor dem Coronavirus, das für ältere Menschen besonders gefährlich ist, ging vor.

In dem Schreiben wird aber auch noch ein weiterer Grund für den Teamwechsel genannt: Man habe eine langfristige Lösung gesucht und daher nach neuen Ehrenamtlichen Ausschau gehalten.

Gertrude Kusterer hätte gerne wieder im Glücksgriff angefangen. Sie war dort in alle Abläufe involviert – von der Annahme der Spenden über das Sortieren bis zur Beratung der Kunden. Auch bei der Vesperkirche war Kusterer aktiv, hat dort einen Kleiderladen organisiert. Die Waren dafür hatte sie zum Teil in ihrer privaten Garage zwischengelagert. Das alles war ihr eine Freude. Auch der Kontakt zu den Kolleginnen. Was sie besonders ärgert: Vor dem Brief sei kein klärendes Gespräch mit ihr geführt worden. „Es scheint mir, dass die Coronakrise ein willkommener Anlass war, uns ‚Alte‘ auf elegante Art loszuwerden.“

Dem widerspricht Martin Strecker, der Geschäftsführer der Diakonie. Viele Ehrenamtliche des Diakonieladens – die Hälfte des Teams sei über 70 – hätten aus Gesundheitsgründen darauf verzichtet, derzeit in dem Laden zu arbeiten. Das könne er verstehen. Die Diakonie brauche aber Planungssicherheit, da es auch wirtschaftliche Zwänge gebe. Daher wurde schnell ein neues Team zusammengestellt. „Alle sind unter 60, viele sogar zwischen 18 und 25 Jahre“, sagt Strecker. Zudem: „Im Diakonieladen stand sowieso ein Generationenwechsel an.“ Das sei allen klar gewesen. Dieser Wechsel hätte nicht auf einen Schlag, wie jetzt in der Coronakrise, sondern nach und nach erfolgen sollen. Den bisherigen Ehrenamtlichen ist er sehr dankbar.

Doch warum wurde den Mitarbeiterinnen, die sich zum Teil auch bei Strecker beschwert haben, keine andere Stelle angeboten, um sie im Ehrenamt und bei der Diakonie zu halten? „Das Problem mit den Risikogruppen haben wir derzeit überall, egal auf welchem Feld“, sagt Strecker. Er betont aber, dass es für ein ehrenamtliches Engagement bei der Diakonie keine Altersbegrenzung gebe. „Zurzeit ist es aber nicht möglich, die betroffenen Ehrenamtlichen in einem anderen Bereich unterzubringen.“ Außerdem, so versichert Strecker, habe es zumindest mit den beiden Teamleiterinnen der 14 Ehrenamtlichen vor dem Brief ein Telefonat gegeben habe.

Strecker befürchtet, dass die Coronakrise noch lange nicht vorüber ist und damit die Gefahr für ältere Ehrenamtliche virulent bleibe. Bei der Diakonie gebe es aber auch viele Menschen unter 50, die sich engagieren. Das Ehrenamt insgesamt sei damit nicht in Gefahr.

Dass Senioren einen würdigen Abschied aus dem Ehrenamt finden, sei für die Diakonie schon immer ein Thema, nicht erst seit der Coronakrise, sagt Strecker. Viele ältere Menschen finden im Ehrenamt nicht nur eine Aufgabe, sondern auch eine Art zweite Familie. Da sei für manche der Abschied sehr schwer. Eine einheitliche Lösung für das Ende der Zusammenarbeit gebe es aber nicht. Das hänge vom einzelnen Ehrenamtlichen ab.

Um Senioren und das Ehrenamt wurde auch bei der Tafel zuletzt viel diskutiert. Der Tafelladen stand vor der gleichen Herausforderung wie der Diakonieladen. Allerdings ist man dort mit dem Problem anders umgegangen, erklärt die Geschäftsführerin Anne Schneider-Müller. Nach der Wiedereröffnung hat auch die Tafel Mitarbeiter ab 66 Jahren zunächst aus dem Laden herausgenommen. „Die waren teilweise froh, dass wir ihnen die Entscheidung abgenommen haben, weil sie sich selbst nicht getraut haben“, sagt Schneider-Müller. Vor zwei Wochen hat die Tafel dann einen Brief an alle Ehrenamtlichen geschickt und um weitere Geduld gebeten. Gleichzeitig hat die Tafel aber auch die Entscheidung getroffen, dass Ehrenamtliche, die keine Vorerkrankung haben und nicht älter als 72 Jahre alt sind, wieder im Laden arbeiten können.

Das funktioniere gut, die Geschäftsführerin geht deshalb davon aus, dass bei der nächsten Vorstandssitzung Anfang Juli auch die Altersgrenze von 72 Jahren fällt. Die Sicherheitsvorkehrungen im Laden seien massiv ausgebaut worden. Alle müssen Mundschutz tragen, nur vier Kunden dürfen gleichzeitig rein. Maximale Aufenthaltsdauer sind zehn Minuten. Und: „Der Kassenbereich wurde hermetisch abgeriegelt.“ Es sei ein Gewaltakt gewesen, den Betrieb im Tafelladen in der Coronakrise aufrechtzuerhalten. Für ältere Ehrenamtliche, die wegen Corona verunsichert sind, gebe es die Möglichkeit, nicht im Laden, sondern in anderen Bereichen zu arbeiten.

Auch gegen die Tafel hatte sich Kritik gerichtet, weil auf ältere Ehrenamtliche zunächst verzichtet wurde. Von Bevormundung war die Rede. In der Hauptphase der Krise hatten viele Jüngere ihre Hilfe angeboten. „Jetzt sind wir froh, dass alle wieder normal arbeiten können.“

Anne Schneider-Müller hat sehr gute Erfahrungen mit Senioren im Ehrenamt gemacht. Es gebe auch 80-Jährige, die noch sehr fit und engagiert sind. Manch einen müsse man dann aber auch behutsam ansprechen, ob er nicht etwas reduzieren wolle. Grundsätzlich sei die Generation 60+ mit ihrer Lebenserfahrung sehr wichtig für den Tafelladen. „Wir brauchen die älteren Ehrenamtlichen, haben aber auch eine Fürsorgepflicht.“

„Das Thema Ehrenamt ist für mich erledigt“, sagt Gertrude Kusterer. Am 2. Juli will sich die Diakonie mit einer Abschiedsfeier bei den Mitarbeiterinnen des Ladens bedanken. Gertrude Kusterer wird nicht kommen.