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Die ersten Tage
„Alles steht wartend am Bahnhof herum“

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Abschied am Bahnhof. Foto: Museum
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Marsch von der Myliusstraße Richtung Bahnhof und von dort an die Front, Februar 1916. Foto: Ludwigsburg Museum
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Kein Jubel, sondern ernste Gesichter: Abmarsch des Infanterieregiments Nr. 121 an die Front am 6. August 1914. Foto: Stadtarchiv, Sammlung Aigner
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Abmarsch aus Ludwigsburg. Foto: Stadtarchiv/ Sammlung Aigner
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Königin Charlotte verabschiedet Dragoner. Foto: Stadtarchiv
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„Das Deutsche Reich im Kriegszustand“: Titelseite der Ludwigsburger Zeitung vom 1. August 1914.
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Anzeige in der Ludwigsburger Zeitung aus den ersten Kriegstagen.
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Der Krieg ist gleich auch ein Geschäft. Anzeige vom 1. August.
Große Nervosität. Überall Soldaten. Die Straßen sind überfüllt. Autos jagen hin und her. Alle strömen zum Bahnhof. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs ändert sich das Leben in der Stadt ganz plötzlich.

Ludwigsburg. Keine Jubelfeiern und auch keine Freudentänze gibt es in den ersten Augusttagen 1914 in Ludwigsburg. Als durchweg ernst aber auch zuversichtlich beschreiben die Zeitgenossen die Stimmung beim Ausbruch des Weltkriegs, von dem die Garnisonsstadt ganz besonders betroffen ist.

Ab dem 1. August kommen mehrmals am Tag Extrablätter der Ludwigsburger Zeitung heraus. Eine Schlagzeile jagt die nächste: „Mobilmachung befohlen“, „Mobilmachung in Frankreich“, „Einberufung des Reichtags“, „Eröffnung der Feindseligkeiten durch Russland“, „Einberufung des Landsturms“. Die Spannung ist groß. Immer steht eine Menschentraube vor der Redaktion und wartet auf neue Anschläge.

„Der große Ernst der Lage und die Bangigkeit nehmen zu. Gott mache unsere Herzen stark und fest, er ziehe uns zu sich und lasse uns seinen Schutz erfahren“, schreibt Juliet Paret, die Tante des berühmten Ludwigsburger Archäologen Oscar Paret, am 1. August in ihr Tagebuch.

Hunderte von Soldaten treffen Anfang August am Bahnhof ein und strömen in die Stadt. In den Kasernen ist nicht genug Platz, daher müssen die Bürger freie Zimmer und Wohnungen zur Verfügung stellen. „Offiziere werden ohne Verpflegung, Mannschaften mit Verpflegung untergebracht. Pferde werden durch das Proviantamt verpflegt“, verkündet Oberbürgermeister Gustav Hartenstein am 1. August in einer Anzeige in der Ludwigsburger Zeitung.

Für den Bürgermeister beginnt mit dem Ausbruch des Krieges eine harte Zeit. Nicht nur, dass er einige Monate später als über 50-Jähriger selbst in den Kampf eingezogen wird. Durch den Kriegszustand ändern sich seine Befugnisse. Die vollziehende Gewalt geht an die Militärbefehlshaber über. Ludwigsburg befindet sich mit Ausbruch des Krieges praktisch in einer Art Militärdiktatur. „Die Zivilverwaltungs- und Gemeindebehörden haben den Anordnungen und Aufträgen der Militärbefehlshaber Folge zu leisten“, lassen die Militärs Anfang August alle Bürger über die Ludwigsburger Zeitung wissen.

„Alles steht in großer Spannung und wartend am Bahnhof herum. Wir haben Vorräte eingekauft“, schreibt Julie Paret. Der Bahnhof wird zum Dreh- und Angelpunkt der Stadt. Dort treffen neben Soldaten auch Neuigkeiten ein. Bis in die späte Nacht ist dort ein großer Trubel.

Schon am 2. August bricht eine große Quartiersnot in Ludwigsburg aus. Soldaten, die spät abends in der Stadt ankommen, finden keine Unterkunft mehr. Die Hotels und alle bekannten Wohnungen sind überfüllt. Die Stadt schaltet einen zweiten Aufruf mit der Bitte, den Soldaten Quartier zu geben. Und fügt hinzu: „Sehr wünschenswert wäre auch, dass sich jeweils in den Abendstunden vor dem Bahnhof junge Leute zur Verfügung halten würden, um den Ankommenden das Gepäck nach ihren Quartieren zu tragen.“

Tagsüber ist auf den Straßen Ludwigsburgs und um die Kasernen die Hölle los. Die Geschäfte haben auch sonntags geöffnet. Die Lokale sind überfüllt, obwohl sie per Zeitungsannonce von den Militärs gewarnt werden, an die Soldaten zu viel „geistige Getränke“ auszuschenken.

„Aller Orten jagten Automobile dahin und zahlreiche Ordonnanzen zu Fuß und zu Rad“, erinnert sich der Ludwigsburger Journalist Ludwig Beeg in den 30er-Jahren an diese ersten Kriegstage. Post und Telegraf waren unaufhörlich belegt. „Da und dort war man Zeuge von rührenden Abschiedsszenen. Die Haltung der Bevölkerung war durchweg ernst.“

Juliet Paret schreibt am 2. August: „Jeder Tag wird ernster und schwerer. Kriegserklärung von allen Seiten.“ Und am nächsten Tag: „Der tiefe Ernst liegt auf uns allen.“ Die Ludwigsburger Zeitung meint: „Nur noch wenige mögen der Täuschung unterlegen sein, dass es jetzt, nachdem die gewaltigsten Kriegsmaschinen der Welt einander gegenübergestellt waren, noch ein Zurück gebe.“

Ab August werden jeden Tag Soldaten von Ludwigsburg aus in den Krieg geschickt. Das württembergische Königspaar verabschiedet das Ulanen-Regiment König Wilhelm I. Nr. 20 höchstpersönlich. Beim Abschied des Dragonerregiments Königin Olga Nr. 25 behauptet der Oberstleutnant v. Gleich: „Kameraden! Ohne Kriegserklärung sind die russischen Barbaren und die hinterlistigen Franzosen in unser Gebiet eingedrungen.“ Und kurz darauf: „Vergesst nicht, dass Ihr Deutsche seid, Deutsche, die nichts fürchten als Gott allein.“

Die Gottesdienste sind bis auf die letzten Plätze gefüllt. Die Pfarrer sagen Worte wie: „Mit Recht können wir stolz sein auf unsere Waffen und unser Heer.“ Auch die jüdische Gemeinde ist in Aufruhr und kommt in ihrer Synagoge Ecke Alleen-/Solitudestraße zusammen. Der Vorsänger Adelmann mahnt die wehrpflichtigen Männer der jüdischen Gemeinde zur Treue für König und Vaterland, berichtet die Ludwigsburger Zeitung. „Tief ergriffen folgten die anwesenden den Worten des Geistlichen, werden doch mehr als ein Zehntel der Gemeinde dem Rufe ihres Königs Folge leisten.“

In der aufgepeitschten Stimmung machen Gerüchte von feindlichen Flugzeugen am Himmel die Runde. Manche Dächer werden mit Soldaten besetzt. Doch die Flugzeuge werden nicht mehr gesehen.

Das erste Opfer des Krieges in Ludwigsburg ist übrigens die Industrie- und Gewerbeausstellung im Rathaushof. Sie sollte ein wichtiger Meilenstein für den Wirtschaftsstandort werden. Zur Eröffnung im Juni 1914 kam sogar der König. Nach Kriegsausbruch wird sie aber sofort beendet. Mit großem Verlust für die Stadt und die Aussteller.