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Bosch dreht künftig am großen (Wind-)Rad

Windrad in Ingersheim: Bisher drehen sich im Kreis Ludwigsburg nur hier die Rotoren. Foto: Holm Wolschendorf
Windrad in Ingersheim: Bisher drehen sich im Kreis Ludwigsburg nur hier die Rotoren. Foto: Holm Wolschendorf
Der Autozulieferer Bosch will mit dem Bietigheimer Windkraftspezialisten wpd bis 2026 zwei Windräder errichten, um seinen Standort in Schwieberdingen mit Strom zu versorgen. Die Anlagen werden deutlich größer als das bislang einzige Windrad im Landkreis in Ingersheim oder der Stuttgarter Fernsehturm. Ist jetzt Schluss mit lauem Lüftchen?

Schwieberdingen. Das kann es noch nicht gewesen sein. Bei Bosch ist das herrschende Meinung. Der Automobilzulieferer, der in seinem Forschungs- und Entwicklungszentrum in Schwieberdingen rund 6300 Mitarbeiter beschäftigt, hat auf den Dächern bereits Photovoltaikanlagen errichtet. Dazu soll auf dem Werksparkplatz ein Solarcarport mit 700 überdachten Stellplätzen kommen. Das Ergebnis: Kaum zehn Prozent des Energiebedarfs am Standort Schwieberdingen werden auf diese Weise gedeckt. „Das reicht uns nicht“, sagt Ulrich Schneider, Experte für Energieversorgung bei Bosch. „Wir wollen mehr.“ Und zwar Windkraftanlagen.

Da passt es gut, dass sich in Schwieberdingen das einzige Windvorranggebiet im Kreis Ludwigsburg befindet – im Gewann Ried/See, auf den fruchtbaren Böden des Langen Feldes, in einem Dreieck zwischen Schwieberdingen, Münchingen und Möglingen. Der Abstand zu den Siedlungen ist mehr als ausreichend: Nach Schwieberdingen und Münchingen sind es etwa 1,5 Kilometer, nach Möglingen gar 1,9. Bisher hat sich nach Angaben des Bürgermeisters Nico Lauxmann noch kein Investor an die etwa 23 Hektar große Fläche herangetraut, weil jedes Mal die Wirtschaftlichkeit infrage gestellt wurde.

Für den Strom muss eine Trasse her

Doch das wird sich nun ändern. Am Mittwochabend präsentiert Bosch in Schwieberdingen erstmals öffentlich auf einer Veranstaltung des Landtagsabgeordneten Markus Rösler (Grüne) und des Grünen-Ortsvereins Schwieberdingen-Hemmingen in der Turn- und Festhalle seine Windkraftpläne. Das Motto: „Zeit für frischen Wind“. Der Automobilzulieferer hat offenbar schon einen Partner gefunden, der die beiden angepeilten Windräder aufstellen lassen und betreiben würde: die wpd AG aus Bietigheim-Bissingen, die bereits Anlagen in Baden-Württemberg zu verantworten hat, etwa im Kreis Göppingen.

Die Ausmaße des Projekts in Schwieberdingen sind enorm. Die Rede ist von zwei Windrädern eines europäischen Herstellers, die auf eine Nabenhöhe von 175 Meter kommen – bis zur Flügelspitze werden es gar 261 Meter werden. Zum Vergleich: Der Fernsehturm in Stuttgart erreicht gut 216 Meter, das bislang einzige Windrad im Landkreis in Ingersheim misst 179 Meter bis zur Flügelspitze.

Wenn alles wie am Schnürchen läuft, will Bosch den Strom der Windräder ab 2026 in Schwieberdingen nutzen. Eine etwa zwei Kilometer lange Kabeltrasse würde die Energie ins Werk transportieren. Schneider schätzt, dass Bosch in Schwieberdingen so etwas mehr als ein Drittel seines Strombedarfs regional erzeugen könnte. Wirtschaftlich werde das Projekt für den Zulieferer, weil sich das Unternehmen dann Entgelte sparen könne. Es verpflichtet sich zudem gegenüber wpd, den durch die Windräder erzeugten Strom für 20 Jahre abzunehmen.

Bei zwei Anlagen muss es nicht bleiben

Gutachten müssen nun klären, ob der am Mittwochabend vorgelegte Zeitplan realistisch ist. Keinesfalls ausgeschlossen ist laut einer Bosch-Sprecherin, dass auf dem Standort im Langen Feld noch ein drittes Windrad hinzukommt, an das sich dann auch die Bürger in Schwieberdingen und den umliegenden Kommunen anschließen könnten. Denn Bosch habe nur Bedarf für zwei Anlagen.

Der Schwieberdinger Bürgermeister Lauxmann nimmt die Pläne seines größten Arbeitgebers positiv auf. „Wir wollen, dass der vorhandene Standort realisiert wird“, sagt er in der Turn- und Festhalle. „Noch ist aber nichts fix.“ Die Angelegenheit will er jetzt mit dem Gemeinderat diskutieren. Die Veranstaltung in seiner Kommune betrachtet Lauxmann als Startschuss. „Wir können uns weitere Standorte vorstellen, die aber nicht unkontrolliert entwickelt werden dürfen.“ Sein Korntal-Münchinger Kollege Joachim Wolf zeigt sich dagegen „überrascht“. Unserer Zeitung sagt er: „Das Vorhaben betrifft uns auch. Wir haben Gesprächsbedarf.“

Der Stuttgarter Regionalverband hat unterdessen einen Suchlauf nach weiteren Windkraftstandorten auch im Kreis Ludwigsburg begonnen. Aktuell weht zwischen Bönnigheim und Gerlingen bestenfalls ein laues Lüftchen. Die einzige Anlage in Ingersheim liefert derzeit Strom für etwa 1200 Privathaushalte. „Sie wird als positives Leuchtturmprojekt wahrgenommen“, sagt Dieter Hallmann von der dortigen Energiegenossenschaft. Hallmann bekräftigt in Schwieberdingen seinen Plan, ein zweites Windrad in Ingersheim bauen zu wollen – die Regionalversammlung hatte dieses Vorhaben vor einigen Jahren gestrichen.

Künftig wird mehr Windkraft nötig sein

Doch die Zeiten haben sich geändert. Um die Energiewende zu schaffen, wird laut Hallmann auch mehr Windkraft benötigt. „Der Strom für E-Autos oder Wärmepumpen muss ja irgendwo herkommen.“ Kretschmann und Co haben den Regionen im Südwesten aufgetragen, künftig 1,8 Prozent der Landesfläche für Windkraft auszuweisen. In der Region Stuttgart weht aber nur auf der Alb eine steife Brise. Was den Planern auch Schwierigkeiten bereitet, sind die vielen Ballungsräume, artenschutzrechtliche Fragen und Landmarken wie der Hohenasperg, wo Windräder tabu sind.

Der regionale Planungsdirektor Thomas Kiwitt hält acht Prozent der Flächen hierzulande für geeignet – etwa rund um Vaihingen oder im Strohgäu. Die Vorgaben des Landes nennt er am Mittwochabend in Schwieberdingen „sportlich“.