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Corona: Lockerungen für die Pflegeheime?

Zusätzliche Schutzkleidung, Abstand und Kontaktbeschränkungen erschweren seit fast zwei Jahren die Pflege von alten Menschen. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Zusätzliche Schutzkleidung, Abstand und Kontaktbeschränkungen erschweren seit fast zwei Jahren die Pflege von alten Menschen. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Fast alle Bewohner und viele Mitarbeiter in den Pflegeheimen sind mittlerweile geimpft. Die ersten Betreiber fordern daher Lockerungen für die Heime, die seit einem Jahr praktisch von der Außenwelt abgeschnitten sind. Andere warnen dagegen vor voreiligen Schritten.

Ludwigsburg. Stark eingeschränkte Besuche, keine öffentlichen Veranstaltungen und nur ein kleines gemeinsames Freizeitprogramm – seit einem Jahr läuft das Leben in den Alten- und Pflegeheimen im Notbetrieb. Aus Schutz vor dem Coronavirus, das in den Heimen besonders brutal zugeschlagen hat und deutschlandweit Zehntausende Tote forderte, wurden die Einrichtungen praktisch von der Außenwelt abgeschirmt.

Nun, nachdem ein Großteil der Bewohner und viele Mitarbeiter geimpft sind, stellen sich viele die Frage, ob erste Lockerungen nicht schon möglich wären. Geimpften Bewohnern droht durch das Virus keine Gefahr mehr und vielen von ihnen fehlen der Kontakt und menschliche Nähe. In der Politik spielen Öffnungen der Heime bisher aber keine Rolle.

Die Evangelische Heimstiftung, die im Kreis mehrere Häuser betreibt, zum Beispiel in Poppenweiler, Neckarweihingen oder Bietigheim, hat jetzt einen Vorstoß gewagt und fordert eine Öffnungsperspektive. Die Impfquote in den Heimen sei hoch, die Teststrategie umfassend, daher sei es an der Zeit, „den Krisenmodus gedanklich zu überwinden und uns auf den Weg in eine neue Normalität zu begeben“, so Bernhard Schneider, Geschäftsführer der Stiftung in einer Mitteilung.

Konkret schlägt Schneider vor, die Heime bei einer Impfquote von 80 Prozent wieder zu öffnen. Allerdings nur wenn sich bestätigt, dass geimpfte Personen nicht ansteckend sind. Der Kontakt und die menschliche Nähe seien für die Bewohner dringend notwendig. „Wir müssen wieder lernen, uns einander ohne Angst zu begegnen, Zeit gemeinsam zu verbringen und einander wieder näher zu kommen.“

Bernhard Wandel, Vorstand der Stiftung evangelische Altenheime, die drei Häuser in Ludwigsburg betreibt, ist da noch vorsichtiger. Die entscheidende Frage, die für ihn wissenschaftlich geklärt werden muss, lautet: „Wann ist es für die Senioren wirklich sicher?“ Die Test- und Maskenpflicht auszusetzen, hält Wandel wie auch alle anderen Betreiber momentan noch für ausgeschlossen – auch für Geimpfte.

Die Besuchszeiten hat die Ludwigsburger Stiftung dagegen schon wieder etwas ausgeweitet. Besuche sind nun auch vormittags oder donnerstags abends möglich. Auch die Zeitbegrenzung für die Besuche wurde mittlerweile aufgegeben. Worüber man laut Wandel ebenfalls nachdenken könnte, sei die strenge Besucherregulierung zu lockern, etwa durch eine Selbstregistrierung der Gäste.

Wohnbereichsübergreifende Veranstaltungen sind in den Häusern der Stiftung weiter tabu. Auch Singen ist nicht möglich. Das Gemeinschaftsleben ist noch immer sehr eingeschränkt. Als einen nächsten Schritt könnte sich Wandel – sobald das erlaubt ist – ein offenes Gartencafé vorstellen. „So könnten wir in kleinen Schritten vorankommen.“ Er warnt aber auch davor, sich zu sicher zu fühlen. Fast 40 Prozent des Personals sei nicht geimpft und es gibt die Virusmutationen: „Wir haben nach wie vor Respekt vor der Krankheit, auch wenn wir seit den Impfungen deutlich entspannter sind.“ Um aufzuatmen, sei es aber zu früh.

Vorsichtige Lockerungen ohne allzu viel Euphorie hält auch Stefan Ebert, Geschäftsführer der Kleeblatt-Pflegeheime für möglich. Allerdings warnt auch er davor, sich jetzt schon zu sicher zu fühlen. Zwar seien in fast allen Häusern über 90 Prozent der Bewohner geimpft, allerdings würden wöchentlich neue Senioren dazukommen, die noch nicht geimpft sind. „Ein verbindliches Verfahren zur schnellen Nachimpfung dieser neuen Bewohner gibt es leider noch nicht“, sagt Ebert. Großen Spielraum für Lockerungen sieht er daher nicht. „Meiner Meinung nach wäre es auch sinnvoll, wenn es hier für alle Pflegeeinrichtungen einen einheitlichen Weg geben würde und nicht jeder Träger ‚sein eigenes Ding‘ macht.

Was Ebert sich als einen ersten Schritt vorstellen könnte, ist, dass geimpfte Angehörige ihre geimpften Verwandten ohne Schnelltest-Prozedur und ohne Mindestabstand und Maske besuchen können. Auch die schnelle Rückkehr zu Essensgemeinschaften an einem gemeinsamen Tisch hält Ebert für wichtig.

„Wir hoffen auf erste zeitnahe allgemeinverbindliche Lockerungen durch das Sozialministerium. Uns ist jedoch bewusst, dass dies für die Mitarbeiter im Ministerium auch keine einfache Aufgabe ist. Denn auch wir erleben einerseits Angehörige die eine sofortige Öffnung der Heime ohne weitere geltende Vorschriften wünschen und auf der anderen Seite Angehörige, die uns bitten, die Bewohner doch bitte bestmöglich zu schützen und die Besuche weiterhin streng zu kontrollieren und zu begrenzen.“ Das sei für alle – auch für die Mitarbeiter in den Heimen – eine schwierige Situation.

„Wir müssen weiterhin auf der Hut sein“, heißt es in der Einrichtung Walckerhof. Das Pflegeheim hatte wochenlang mit einem Coronaausbruch zu kämpfen, an dem viele Bewohner gestorben sind. Erst sei dem 15. März ist die Einrichtung coronafrei, so eine Sprecherin des Betreiberunternehmens Korian gegenüber unserer Zeitung. Besuche und Neueinzüge seien daher erst jetzt wieder möglich.

Durch den schweren Coronaausbruch konnten bislang nicht alle Bewohner geimpft werden. Lockerungen sieht man im Walckerhof daher sehr skeptisch. „Die Virusmutationen sind auf dem Vormarsch, die Impfung der Bevölkerung schreitet nur langsam voran. Nach wie vor kann eine Infektion schwere gesundheitliche Folgen haben, für viele ältere Menschen ist sie tödlich“, sagt die Sprecherin. Eine 100-prozentige Impfabdeckung sei unerreichbar, da einige Bewohner aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden konnten. Andere lehnen eine Impfung ab. Wirklich sicher werde es daher erst, wenn die Herdenimmunität erreicht ist.