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Corona verändert Umgang mit Sterbenden

Damit Schwerstkranke daheim sterben können, wurde die ambulante Palliativversorgung vor zehn Jahren ins Leben gerufen. Foto: Felix Kästle/dpa
Damit Schwerstkranke daheim sterben können, wurde die ambulante Palliativversorgung vor zehn Jahren ins Leben gerufen. Foto: Felix Kästle/dpa
Corona hat so vieles verändert: Beruf, Freizeit, Mobilität, Lernen, Studieren – ganze Lebenswelten wurden auf den Kopf gestellt. Und die Welt des Sterbens auch. Mit steigenden Infektionszahlen wächst wieder die Angst vor dem Tod in Einsamkeit. Doch auch im Bietigheimer Hospiz hat man aus dem ersten Lockdown gelernt.

Bietigheim-Bissingen. Das Hospiz in der Bietigheimer Gartenstraße ist mal wieder voll belegt. Sieben Patienten werden aktuell versorgt und noch läuft alles nach Plan. „Wir wollen das Leben möglichst lange erhalten. Wir wollen uns um unsere Patienten kümmern, daher haben und hatte wir nie eine komplette Kontaktsperre, wie in den Altersheimen oder Krankenhäuser“, sagt Petra Zuccala, Geschäftsführerin des Hospiz-Trägervereins.

Hier habe man einen ganz anderen Ansatz, daher könne man auch die Besucher auch nicht komplett außen vor lassen. Konkret bedeutet dies, dass maximal zwei Besucher gleichzeitig bei den Patienten sein dürfen. Das sei aber kein Problem, weil die Besuche sowieso koordiniert würden.

Gleichzeitig bestehe eine Maskenpflicht und es gebe ein großes Hygienekonzept im Bietigheimer Hospiz. „Das hat sich alles bewährt, daran müssen wir nichts ändern“, so Zuccala. Auch bei der Versorgung mit Schutzmaterial, wie Masken und Bekleidung, sei inzwischen Normalität eingetreten. Nur bei der Eingangskontrolle der Patienten habe sich etwas geändert. Beim ersten Lockdown hätten diese noch zwei Wochen in Quarantäne gehen müssen, jetzt müssen lediglich ein negativer Covid19-Test vorgelegt werden. Dieser werde dann nach fünf Tagen nochmals überprüft.

Andere Zustände in den Altersheimen. Das erschüttert Martina W. noch heute. Fast ein Jahr hatte die 51 Jahre alte Sterbebegleiterin eine bettlägerige und völlig alleinstehende alte Dame in einem Pflegeheim in Esslingen betreut – und hätte sie gerne bis in den Tod begleitet. Doch im März kam Corona - und mit der Pandemie ein quasi flächendeckendes Besuchsverbot in Pflegeheimen. Über Monate durfte W. nicht zu der fast 100-Jährigen. Die alte Frau starb alleine – an dem Julimorgen, als W. das erste Mal wieder zu ihr gedurft hätte. Das Versprechen, dass sie sie nicht im Stich lassen würde, konnte die Sterbebegleiterin nicht halten.

Eine Zeit lang schien dann bei den Corona-Beschränkungen das Schlimmste vorbei. Doch dann stiegen die Infektionszahlen bundesweit wieder drastisch an und seit dem 2. November gilt ein teilweiser Lockdown auch in Baden-Württemberg. Corona-Ausbrüche in Altenheimen wie etwa in Marxzell (Landkreis Karlsruhe), Laichingen (Alb-Donau-Kreis) oder Mannheim sorgen für große Ängste bei den Betroffenen.

Momentan sind zwar grundsätzlich zwei Besucher pro Tag für jeden Pflegebedürftigen erlaubt, berichtete das Gesundheitsministerium in Stuttgart kürzlich. Weitergehende Kontaktbeschränkungen seien derzeit nicht geplant. Die Menschen aber seien verunsichert, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbandes, Benno Bolze. Aus Angst vor Besuchsverboten stellten sich manche die Frage, ob es nicht besser sei, zu Hause zu bleiben anstatt beispielsweise ins Krankenhaus zu gehen.

Beruhigende Nachrichten gibt es zwar auch. „Einrichtungen haben mittlerweile alle ein Schutz- und Hygienekonzept und auch Schutzkleidung ist mittlerweile vorhanden. Das entschärft die Situation“, sagt Bolze. „Käme jetzt eine zweite Welle - wir wären gerüstet“, sagt auch Susanne Kränzle vom Hospiz Esslingen. Es gebe genug Schutzkleidung, genug Masken, genug Desinfektionsmittel. Überreaktionen wie im Frühjahr seien gemildert. Dass Pflegeheime komplett zumachen, sei die Ausnahme, berichtet die Leiterin des Hospizes Karlsruhe, Christine Ettwein-Friehs.

Doch schon die erste Coronawelle, anfangs oft ohne oder nur mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten von Besuch und Betreuung Sterbender, hat Spuren bei Angehörigen und in den Einrichtungen hinterlassen. „Eigentlich sind Hospize große Gemeinschaftseinrichtungen“, sagt zum Beispiel Kränzle. Aber gemeinsam Kaffeetrinken, gemeinsam essen – all das sei nicht mehr in der Form möglich wie vor Corona. Petra Baader, Leiterin des ambulanten Bereichs am Hospiz Ettlingen, berichtet von starker Nachfrage nach Angeboten zur Trauerarbeit für Angehörige, die um die Begleitung ihrer Liebsten gebracht wurden. „Da versuchen wir aufzuarbeiten, was Corona angerichtet hat.“

Es stehen auch mancherorts nicht mehr so viele ehrenamtliche Begleiter zur Verfügung wie vor der Pandemie. „Da viele der Ehrenamtlichen selbst einer Risikogruppe angehören, wird sich hier die Zahl der Sterbebegleitungen radikal reduziert haben“, vermutet auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. „Jetzt rächt sich auch, dass der Gesetzgeber darauf gesetzt hat, viele Lücken in der Versorgung Sterbender durch Ehrenamtliche zu schließen.“

Zwar seien noch keine der rund 60 Ehrenamtlichen abgesprungen, sagt Kränzle. „Aber manche sind jetzt zurückhaltend und auf Pause, weil sie schon älter sind.“ Zurzeit stünden etwa die Hälfte der Begleiter zur Verfügung. Anfragen von Menschen, ihre sterbenden Angehörigen zu begleiten, habe man bisher aber trotz allem nicht ablehnen müssen. Im Hospiz Ettlingen sind nach Worten Baaders derzeit sieben von 22 ehrenamtlichen Kräften nicht für die stationäre Betreuung Sterbender verfügbar.

Verändert hat sich auch die Begleitung selbst. Nur mit Masken sollen die Begleiter zu den Menschen. Am Bett soll Abstand gehalten werden, Berührungen sind nicht mehr so unbefangen möglich, wie es vor Corona der Fall war. Sabrina Kehl, die in einer Karlsruher Einrichtung für junge Pflegebedürftige eine 44 Jahre alte schwerkranke Frau betreut, findet eigene Wege. „Wenn ich gehe, streichele ich ihr über die Schulter“, sagt sie. Und auf dem Balkon habe sie die Maske auch mal abgenommen, damit die an der Nervenkrankheit MS leidende 44-Jährige ihr Gesicht sehen konnte.

Was Baader besonders beunruhigt, ist jedoch, dass seit zwei Wochen kaum noch Anfragen von Pflegeheimen zur Begleitung Sterbender kämen. Das haben ihren Worten zufolge auch andere Hospizdienste beim letzten Koordinatorentreffen bestätigt. „Wir hatten in der Akutphase der Pandemie im Frühjahr sogar mehr Anfragen als jetzt“, sagt sie. Die Senioreneinrichtungen hätten angesichts steigender Infektionszahlen alles wieder heruntergefahren – aus Angst, jemand von außen könnte das Coronavirus in die Heime bringen, vermutet Baader. „Der Schutz der Menschen steht wieder über der Würde der Menschen“, sagt sie. „Das treibt mir wirklich die Tränen in die Augen.“