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Das denken Russlanddeutsche über den Krieg

Laut Alexander Dietz gibt es unter den jungen Russlanddeutschen kaum Anhänger Putins. Archivfoto: Holm Wolschendorf
Laut Alexander Dietz gibt es unter den jungen Russlanddeutschen kaum Anhänger Putins. Foto: Holm Wolschendorf
Zwischen Angst vor Anfeindungen und Verzweiflung über den Bruderkrieg in der Ukraine – so lässt sich die Gemütslage vieler Russlanddeutscher beschreiben. Wir haben mit zwei von ihnen gesprochen.

Ludwigsburg. In Russland hat Alexander Dietz nie gelebt. Trotzdem zählt er zu den 2,3 Millionen sogenannten Russlanddeutschen, die seit den 80er Jahren aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind. Ihre Vorfahren waren vor allem im 18. und 19. Jahrhundert ins Zarenreich ausgewandert.

„Für uns ist dieser Krieg schockierend. Meiner Meinung nach ist das Putins Krieg“, sagt Alexander Dietz über den Angriff Russlands auf die Ukraine. Dietz ist in Kasachstan geboren und arbeitet bei der Stadt Ludwigsburg als Verwaltungs- und Gebäudetechniker.

Für viele Russlanddeutsche ist der Krieg sehr irritierend. Zum einen, weil viele von ihnen sowohl in Russland als auch in der Ukraine Freunde und Verwandte und familiäre Wurzeln haben. Zum anderen aber auch, weil die westlichen und die russischen Medien völlig unterschiedlich über den Krieg berichten. „Im russischen Fernsehen ist von einer Spezialoperation und nicht von einem Krieg die Rede“, sagt Dietz. Und gerade das russische Fernsehen sei bei einigen älteren russischsprachigen Einwanderern immer noch die Informationsquelle Nummer eins. Und im Internet würden die Älteren eher nicht nach Nachrichten suchen.

Angst vor Anfeindungen

Gerade bei den Älteren gebe es daher noch einige, die hinter Putin stehen oder die zumindest nicht wissen, wem sie glauben sollen – den westlichen oder den russischen Nachrichten. Und wie in der deutschen Bevölkerung, so seien auch einige russischsprachige Einwanderer dem Macht- und Stärkegebaren von Wladimir Putin verfallen, sagt Alexander Dietz. Trotzdem ist er sicher, dass der überwiegende Teil der Russlanddeutschen gegen Putin ist, „vor allem die Jüngeren“.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist auch Dietz mit seinen Eltern und Großeltern von Kasachstan nach Deutschland gekommen. Nach Zentralasien, also Kasachstan oder Kirgistan, wurden die deutschen Siedler, von denen viele eigentlich an der Wolga lebten, im Zweiten Weltkrieg deportiert. Stalin sah in ihnen deutsche Kollaborateure.

Alexander Dietz hat viele Freunde, die aus der Ukraine kommen oder noch in der Ukraine leben. Einer seiner besten Freunde ist vor wenigen Tagen an die polnisch-ukrainische Grenze gefahren, um dort seine Schwiegermutter sowie deren Schwiegertochter und zwei Kinder zu sich zu holen. Für die Fahrt hat er sich das Auto von Alexander Dietz ausgeliehen. Die Flüchtlinge aus Kiew sind jetzt in der Wohnung des Freundes in Kornwestheim untergekommen.

Anfeindungen gegen russischsprachige Menschen hat Dietz bisher nicht erlebt. Nur gehört hat er davon. So geht es auch Julia Schell: „Unter Aussiedlern geht es momentan nur um dieses Thema.“ Plötzlich sei die russische Sprache Putins Sprache und damit die Sprache des Bösen.

Große Irritationen

Julia Schell ist in der Ukraine geboren, ihr Vater ist Ukrainer, ihre Mutter Russlanddeutsche. Viele ihrer Verwandten leben in Russland. „In meiner Brust schlagen zwei Herzen.“ Sie nimmt große Irritationen in der russischsprachigen Gemeinschaft wahr. „Alle finden den Krieg schlimm“, aber der unterschiedliche Blick von Deutschland und Russland auf diesen Konflikt verwirre viele Menschen. Einige seien überzeugt davon, dass es mehrere Verantwortliche gebe – nicht nur Putin. Die Folge: Mit einer klaren Positionierung tut sich manch einer schwer, auch weil sie oder er familiär in beiden Ländern verwurzelt ist.

Hinzu komme das Misstrauen vieler Deutscher gegenüber russischsprachigen Einwanderern, zu denen auch viele Ukrainer gehören, wie Schell betont. Daher ist die Hoffnung groß, dass der Kampf schnell endet. So lange die Situation so schwierig ist, möchte Julia Schell den Flüchtlingen aus der Ukraine helfen. Ihre Dolmetscherdienste hat sie schon angeboten. „Ich rechne jeden Tag mit Anfragen.“