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„Das war eine Gemeinheit“

Von Vergewaltigung unter Männern war am Schluss nicht mehr die Rede. Allerdings nicht, weil sie nicht stattgefunden hatte, sondern weil sie nicht zu beweisen war.

Remseck/Stuttgart. Der Prozess, in dem zwei junge Afghanen der besonders schweren sexuellen Nötigung eines Landsmannes angeklagt waren – das Opfer hatte von „analer Vergewaltigung“ gesprochen –, war auf vier Tage angesetzt gewesen. Jetzt fiel aber bereits am zweiten Verhandlungstag das Urteil; das hatte mehrere Gründe. Zum einen waren fünf von acht Zeugen mehr oder weniger krank. Zum anderen hatte sich der Hauptbelastungszeuge – das Opfer – am ersten Verhandlungstag derart in Widersprüche verwickelt, dass Richter, Staatsanwalt und Verteidiger zum Auftakt des zweiten Tages erst mal das Gespräch suchten: Mit einem Geständnis könnte man die Verhandlungsdauer halbieren; zudem stellte der Richter ein günstigeres Urteil in Aussicht. So geschah es auch. Denn vollständig hatte sich das Geschehen an diesem Junitag vorigen Jahres nicht aufklären lassen.

Fest stand nur, dass die beiden Angeklagten und ihr späteres Opfer am Strand in Neckargröningen grob herumgealbert und dabei die erste von zwei Flaschen Wodka geleert hatten. Der Ältere der beiden, ein 30-jähriger Mann, war an diesem Tag besonders  schlecht drauf: Am Morgen hatte er die Ablehnung seines Asylantrags erhalten. Nun versuchte er, seinen Frust im Alkohol zu ertränken.  Im Lauf des Nachmittags  verlagerte sich das Geschehen in ein Zimmer der Flüchtlingsunterkunft, wo das spätere Opfer und der 30-Jährige seit Jahren ein Zimmer teilen. Was dort genau passiert ist, ließ sich allerdings nicht klären. Das 28-jährige Opfer sprach von Vergewaltigung, wollte sich zu den Details aber am liebsten gar nicht äußern. Vom Richter sanft gedrängt, von den Verteidigern hart befragt, variierten seine Schilderungen, was ihm auf seinem Bett angetan worden war – und zwar so stark, dass auch der Staatsanwalt zu der Erkenntnis kam: Ein sexueller Übergriff aus Wut sei zwar plausibel, aber nicht  gerichtsfest zu beweisen. Zumal bei der ärztlichen Untersuchung weder Verletzungen noch Speichel- oder Spermaspuren festgestellt worden waren.  In seinem Geständnis hatte der 30-jährige Haupttäter eingeräumt, das Opfer mit einem Messer geritzt und ihm fünf oberflächliche Schnitte am Handgelenk und am Bein zugefügt zu haben. Sein Mittäter, ebenfalls mit einem Messer in der Hand, hatte vorher die Zimmertür abgeschlossen – und die Quälereien nicht verhindert.

Als faktenorientierter Abendländer stoße man hier an seine kulturellen Grenzen, seufzte der Richter, der dem Opfer durchaus zugestand, gedemütigt worden zu sein und das Drangsalieren als Vergewaltigung erlebt zu haben.

Was übrig blieb, war eine schwere Körperverletzung. Anders als der Staatsanwalt sah der Richter keinen minder schweren Fall, im Gegenteil: „Es war eine Gemeinheit, seinen Frust an einem Schuldlosen auszulassen!“ Er verurteilte den 30-Jährigen zu zehn Monaten Freiheitsstrafe – angesichts einschlägiger Vorstrafen ohne Bewährung. Der Mitangeklagte bekam sieben Monate auf Bewährung, konnte das Gericht als freier Mann verlassen und kann nun seine Ausbildung zum Altenpfleger beenden.