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Demo fordert Ausstieg vom Ausstieg

Wollen den Wiedereinstieg in die Kernenergie-Nutzung: Demonstrierende am GKN Neckarwestheim. Foto: Ramona Theiss
Wollen den Wiedereinstieg in die Kernenergie-Nutzung: Demonstrierende am GKN Neckarwestheim. Foto: Ramona Theiss
Ungewohntes Bild vor dem Kernkraftwerk Neckarwestheim: Bei einer Demonstration ist jetzt nicht das sofortige Abschalten von BlockII gefordert worden, sondern der Erhalt der Kernkraft.

Neckarwestheim. Der Weg vom Gemmrigheimer Parkplatz über den Atombuckel zum Reaktor Neckarwestheim ist kurz. Die gut 50 Demonstranten waren am Samstag also schnell am Zielort ihrer fast zweistündigen Kundgebung. Kurz ist auch die restliche Laufzeit des Atommeilers, der im Zuge des gesetzlich beschlossenen Atomausstiegs spätestens Ende 2022 vom Netz geht und rückgebaut wird. Doch Letzteres wollen die Aktivisten des Vereins Nuklearia verhindern, der zur Kundgebung aufgerufen hatte. Sie forderten ein „Moratorium gegen die Verschrottung“, um die Chance für eine Wiederaufnahme des Betriebs zu erhalten. Das Ziel der Akteure, die derzeit quer durch die Republik mit Pro-Kernkraft-Demos unterwegs sind und im September eine Großdemo in Brüssel planen, ist es, die Nutzung von Atomkraft zur Stromerzeugung wieder auf die Agenda zu bringen. Schlussendlich geht es ihnen um den „Ausstieg aus dem Ausstieg“, also um den Wiedereinstieg in die Kernenergie-Nutzung.

Vor Ort erklärten mehrere Redner, einst aufseiten der Atomkraft-Gegner gewesen zu sein. Ihr Positionswechsel beruhe in der Überzeugung, dass die Energiewende ohne die Nutzung von Kernkraft nicht zu schaffen sei – und erst recht nicht der Kampf gegen den Klimawandel und dessen bedrohlichen Dimensionen: „Kernenergie und erneuerbare Energien sind keine Gegner. Sie sollten beide miteinander genutzt werden, um Kohle und Erdgas zu verdrängen“, formulierte der Nuklearia-Vorsitzende Rainer Klute. Folge der Stilllegung der AKW sei, dass „Kohle- und Erdgaskraftwerke in die Bresche springen und den sonst fehlenden Strom liefern müssen“. Das produziere ein Plus von „zusätzlich 70 Millionen Tonnen klimaschädliches CO pro Jahr“.

„Wir jagen die falsche Sau vom Hof“, befand angesichts dieses Szenarios der Arbeitsmediziner Peter Kegel und sprach von „Tausenden von zusätzlichen Toten durch Feinstaub und Nano-Partikel als Folge eines fossilen Backlashs“, einer Wiederkehr fossiler Brennstoffe. Kegel meinte: „Durch die Hintertür kriegen wir dreckigen Strom. Dabei haben wir hier eine technisch großartige Anlage stehen. Diese Situation macht mich wütend. Wind und Sonne allein werden es nicht richten können.“

Ein anderer Redner bezeichnete es als Illusion, noch unter das Zwei-Grad-Ziel des Temperaturanstiegs kommen zu wollen: „Das Zwei-Grad-Ziel müssen wir aber erreichen, denn sonst sind die Folgen des von Menschen verursachten Klimawandels nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen, selbst wenn wir komplett dekarboniert haben.“ Daraus schloss er: „Wir können es uns nicht leisten, die AKW abzuschalten, und wir müssen dringend neue Kernkraftwerke bauen.“ Neben einer klimaneutral produzierenden Industrie sei es auch nötig, „Strom zu sparen und nur Fleisch zu essen, das nicht klimaschädlich produziert wurde“. Kurzum: „Wir müssen uns ändern.“

Im 20-minütigen Schweinsgalopp ging der Physik- und Mathe-Lehrer Simeon Preuß die Anti-Atomkraft-Broschüre „Irrweg in der Klimakrise“ durch, die sich mit der „neu aufgekeimten Atom-Debatte“ befasst. Diese basiere „auf Desinformation der Atomszene“ und deren „falschen Versprechen“. Preuß nun wollte die Versammlung – „wir sind ja unter uns“ – „damit bewaffnen, wie ihr die Argumente knacken könnt“. Auch er hielt ein zahlensattes Plädoyer pro Atomkraft. Etwa hinsichtlich deren Effektivität. Er rechnete hoch, dass man für Klimaneutralität, auch mit Blick auf steigenden Energiebedarf, beim Verzicht auf Kernenergie 10000 neue Windräder pro Jahr brauche, dass man also „dafür 20 Prozent der Landesfläche einsammeln muss“.

In einem Lied war zuvor „unsere Strahlungsangst“ mit „so ein Quatsch“ kommentiert worden. Die Atommüll-Problematik hält Preuß für lösbar „mit einer neuen Generation von Reaktoren“ und zugehörigen „Recycling-Kreisläufen“. Das verseuchte Sperrgebiet in Tschernobyl setzte er „in Relation zur Gefahr, dass der Meeresspiegel auf bis zu acht Meter ansteigt“ und befand: „Genügend verfügbare Energie führt zu Wohlstand, und Wohlstand zu Frieden. Zu wenig Energie führt zu Armut, und Armut führt zu Krieg.“

Atomerbe: „Klimakatastrophe wird weiter angetrieben“

Die Haltung der Arbeitsgemeinschaft Atomerbe Neckarwestheim ist klar: „Atomkraft hat noch nie einen Beitrag zum Umweltschutz geleistet, im Gegenteil. Auch die Klimakatastrophe wird durch die Atomkraft weiter angetrieben. Vermeintliche CO-Einsparung der Atomkraft im Vergleich zu anderen fossilen Brennstoffen wird durch die Ewigkeitslasten der Atomkraft wieder aufgefressen werden.“ Die AG hat ebenfalls am GKN Neckarwestheim demonstriert, wenn auch an anderer Stelle. Sie beteiligte sich am Aktionstag „Schacht Konrad stoppen“. Das einstige Bergwerk bei Salzgitter soll zum Endlager für mittel- und schwachradioaktiven Atommüll werden. Doch solcher Bergwerke, so die Kritiker, taugten nicht für eine sichere Lagerung. Deswegen werde „ein sofortiges Aus für das technisch ohnehin längst gescheiterte Projekt gefordert“. In Neckarwestheim lagere sehr viel Atommüll, teilt die AG mit und verweist auf das Abfall-Zwischenlager. Zwar bereiteten dieser Müll und seine unsichere Lage Grund zur Sorge, doch er solle dort bleiben: „Besser der Atommüll bleibt hier, als dass er in ein ungeeignetes Lager wie Schacht Konrad kommt.“ (red)